De Maizière und die Bundeswehr-Reform: „Werde eckig, Kreis!“

Verteidigungsminister Thomas de Maizière spricht im Bundestag über den von AWACS-Flugzeugen der Bundeswehr in Afghanistan. (Quelle: Bundeswehr/CC BY-ND 2.0)
Verteidigungsminister Thomas de Maizière spricht im Bundestag über den Einsatz von AWACS-Flugzeugen in Afghanistan. (Quelle: Bundeswehr/CC BY-ND 2.0)

Mit der Bundeswehrreform gibt Verteidigunsminister Thomas de Maizière den unmöglichsten Befehl seiner noch kurzen Amtszeit.

Die alten Männer in der Berliner Julius-Leber–Kaserne schauen skeptisch. Ganz so, als ob ihr Oberbefehlshaber, Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU), gerade einem Kreis befehlen würde, eckig zu werden.

Aber de Maizière kündigt nur in nüchternen Worten große Veränderungen an. Veränderungen, von denen viele profitieren sollen, das Land, der Kollege Finanzminister und die Soldaten – aber nicht unbedingt sie, die Herren Generäle und Ministerialdirektoren in ihren schicken grauen Uniformen. Denn de Maizière will die Bundeswehr nicht nur in eine Freiwilligenarmee umbauen, sie besser auf Auslandseinsätze vorbereiten und dabei sparen. Er will auch streichen: 1500 Stellen im Verteidigungsministerium, 35 000 Posten in der Bundeswehr und noch einmal 21 000 Arbeitsplätze in der zivilen Armee-Verwaltung. Er will an die Pfründe der alten Männer heran; 11 000 Euro im Monat verdient etwa so ein Herr General. Und der soll das bitteschön auch noch mittragen. „Wer das nicht kann, der hat keinen Platz“ sagt der Verteidigungsminister. „Kameradschaft auch in der Neuausrichtung, das ist die Haltung, die wir brauchen.“

Selbst für einen Polit-Haudegen wie de Maizière, der schon sächsicher Finanz-, Justiz- und Innenminister war, Kanzleramt und Bundesinnenministerium leitete, ist diese Anordnung außergewöhnlich, ist die Bundeswehrreform eine Mammut-Aufgabe. Schließlich sind die grauen Männer vor ihm ein konservatives Häuflein voller Starrsinn. Als sie sich das letzte Mal bewegt hatten, regierte Adenauer und die Sowjets drohten, vom Osten her die Republik zu überfallen. Das war 1955. Da gründete man die Bundeswehr und die Generäle und Ministerialdirektoren in der neuen Armee zogen einen Kreis um sich und sagten: „Hier kommt keiner mehr rein!“ Und de Maizière will ausgerechnet diesen Kreis jetzt mal schön eckig haben. Pfff.

Die Generäle sagten: „Hier kommt keiner mehr rein!“

Aber es sind nicht nur die alten Männer, die bei der Bundeswehrreform Probleme machen werden. Sondern auch die jungen. Bei ihnen werden de Maizières Befehle und plumpe Appelle an Kameradschaftsgeist und Patriotismus nicht helfen. 5 000 bis 15 000 Freiwillige müssen sich den Plänen des Verteidigungsministers zufolge Jahr für Jahr für den Armeedienst verpflichten lassen – und das bei einem Einstiegs-Sold von gut 777 Euro im Monat. Wer im Restaurant nebenan regelmäßig kellnern geht, kommt auf einen besseren Monatslohn. Wenn der Kellnerjob überhaupt sein muss. Schließlich wird die Bundeswehr nun in der in Armeekreisen viel zitierten „freien Wirtschaft“ mit Porsche, Bosch und McKinsey um Nachwuchs werben müssen. Die Jungen haben da schon eine stattliche Auswahl. Werden sie nun, deren Zahl schon auf natürlichem Wege immer geringer wird, ihren Hintern in talibanesisches Kalaschnikow-Feuer halten, wo sie auch schnelle Autos entwickeln oder nützliche Bohrmaschinen bauen könnten?

Eine Wahl hat übrigens auch der alternde Rest des Volks – zumindest alle vier Jahre. Und diesem Rest wird vor allem eines mißfallen: Dass die Zeiten der Geldbörsen-Außenpolitik vorbei sind. Das macht de Maizière in seiner Rede unmissverständlich klar. Wo die Bundesrepublik sich früher aus der Verantwortung herauskaufen konnte, soll heute gelten: Schießen statt Zahlen, mehr Afghanistan und nicht weniger.

„Wenn Wohlstand Verantwortung erfordert, dann gilt das auch für die deutsche Sicherheitspolitik“, sagt der Verteidigungsminister. Die deutsche Bevölkerung, die Uniform und Bundes-Trikolore seit 1945 mit Inbrunst ignoriert, wird das nicht vorbehaltlos mittragen. Schon jetzt sind 60 Prozent der Deutschen gegen den Afghanistan-Einsatz. Wenn es der Bundesregierung nicht gelingt, die Bevölkerung von dieser neuen Militär-Doktrin zu überzeugen, wird es eng beim nächsten Wahlgang. Denn für den derzeitigen Darling der deutschen Wählerschaft, die friedlichen, täubischen Grünen, wären echte Debatten über Kriegsfragen Beliebtheits-Doping.

Für die Grünen wären Kriegs-Debatten Beliebtheits-Doping

Und überhaupt. Deutschland steht ja nicht allein. Das ganze Sparen, Streichen und Schmeicheln wird de Maizière unter der kritischen Beobachtung der Bündnispartner in EU und Nato erledigen müssen. Viel außenpolitischen Kredit hatte Deutschland schon mit seiner Enthaltung in der Libyen-Frage verspielt. Weitere Alleingänge wird es sich nicht leisten können, will es sich mit seinem Anspruch auf einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat nicht vollends lächerlich machen. Da hat der grüne Falke Fischer völlig recht.

Also: Alte und junge Männer, Wahlvolk, Chefin und die lieben Bündnispartner muss de Maizère zufriedenstellen. Die Formulierung, die sich dafür aufdrängt, will man ja gar nicht schreiben, der Kalauer ist zu nah, aber sie trifft es. Die Bundeswehrreform ist schon jetzt: ein Himmelfahrtskommando.

Und da hat de Maizère noch gar nicht über Geld allgemein und Rüstungsprojekte (noch mehr Geld) und Armeestandorte (das meiste Geld) gesprochen.

Bayern-Patriot Seehofer hat jedenfalls schon Witterung aufgenommen: „Soldaten, Arbeitsplätze, Standorte. Die Fragen sind ungelöst.“

Die letzte Fahrt der Piraten

Die Piratenpartei muss das Superwahljahr 2011 nutzen, um in einen Landtag einzuziehen. Sonst wird sie endgültig von der Bildfläche verschwinden. Sie braucht jetzt Köpfe, Fokus – und etwas Glück.

Vor zwei Jahren haben viele die Piraten noch mit den Grünen verglichen, heute redet keiner mehr über sie. Umso erstaunlicher ist, dass die Partei bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg noch 2,1 Prozent aller Stimmen erreichen konnte, im Vergleich zur Bundestagswahl 2009 waren das allerdings 0,5 Prozent weniger. Daraus einen Trend ablesen zu wollen, ist verfrüht. Die Zeichen stehen für die Partei dennoch auf Sturm.

Denn fehlende Medienaufmerksamkeit und sinkende Wahlergebnisse sind Symptome für ein tieferliegendes, strukturelles Problem der Piratenpartei: Sie hat die Deutungshoheit über das Thema Datenschutz verloren und es nie geschafft, sie bei anderen Themen zu erringen.

Über Ilse Aigner und ihre naiven Tiraden gegen Facebook können sich die Piraten noch so sehr lustig machen. Es ändert nichts am Ergebnis. Aigner hat das Thema besetzt – jedenfalls in der Wahrnehmung derjenigen Bürger, die nicht auf Twitter sind oder sich in der netzpolitischen Gemeinschaft engagieren. Dort wo Aigner nicht aktiv wird, füllt FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger die Lücken, etwa bei der Vorratsdatenspeicherung oder dem SWIFT-Abkommen zwischen EU und USA über den Austausch von Bankdaten.

Auch bei anderen Themen konnte die Piratenpartei kaum punkten. Sie konnte sich gar nie einigen, ob sie da überhaupt punkten wollte. Nach der Bundestagswahl begannen die Piraten darüber zu streiten. Fast wie bei den Grünen war das, Realos gegen Fundis. Nur, dass das bei den Piraten Kernis gegen Vollis hieß. Die Kernis wollten sich auf die Grundthemen der Partei beschränken, die Vollis ein Vollprogramm entwickeln. So verbrachten die Piratenpartei das vergangene Jahr mit Debatten über die inhaltliche Ausrichtung. Erst auf dem Bundesparteitag im November konnten sich die Vollis durchsetzen. Das war allerdings für die Piraten zu spät, um sich auf das vorbereiten zu können, was in diesem Jahr kommen wird: noch fünf Landtagswahlen.

Zudem kommen Personalprobleme. Markus Beckedahl hat das im Interview mit DLF-Reporter Philip Banse gut analysiert: „Die Piraten diskutieren nur über Strukturen und Köpfe und dabei fehlen ihnen auch noch charismatische Köpfe, die ihre Themen eloquent nach außen vertreten können.“ Als wäre das nicht genug, scheint einer der wenigen bekannten Köpfe der Partei, Bundesvorsitzender Jens Seipenbusch, derzeit nicht auf Anfragen zu reagieren. Stattdessen muss der politische Geschäftsführer Christopher Lauer Rede und Antwort stehen. Vertrauen schafft die Partei so nicht.

Für die Piratenpartei geht es in diesem Jahr um alles. Zieht sie in einen der der fünf Landtage ein, hat sie wieder die Aufmerksamkeit, die sie braucht. Aber da beißt sich die Katze in den Schwanz. Denn ohne Aufmerksamkeit wird es keine Wahlerfolge geben.

Aber es gibt Auswege: Köpfe, Fokus, Glück.

Erstens, die Partei muss sich schleunigst einen profilierten, charismatischen Sprecher zulegen, einen, der die Piratenpartei und ihre Themen nach außen präsentiert. Eine Wahl allein über die Themen zu gewinnen, ist nur unter optimalen Bedingungen möglich – und diese sind angesichts der Konkurrenz um das Thema Datenschutz nicht gegeben.

Zweitens, die Piraten dürfen sich nicht verzetteln. Sie müssen ihre wenigen Ressourcen dort einsetzen, wo sie am ehesten in den Landtag einziehen können. Und das ist in Berlin, in der Metropole. Nur dort ist die Zahl der netzaffingen Jungen, der Stammwähler der Piraten groß genug. Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg sind zu ländlich geprägt. In Bremem holten die Piraten bei der Bundestagswahl 1 Prozent weniger als in Berlin.

Drittens, der Faktor, den die Piraten nicht beeinflussen können: die Konkurrenz. Falls der neue CSU-Innenminister die Abteilung Attacke auch auf dem Gebiet der Netzpolitik eröffnet, wäre das Pech für das Land, aber ein Glücksfall für die Piratenpartei, da die Bürger in diesen Fragen eher nicht mehr den Regierungsparteien CSU und FDP, sondern der Opposition vertrauen würden.

Auf ihr Glück allein können sich die Piraten aber nicht verlassen. Die Piraten müssen daher einen charismatischen Kopfe am richtigen Ort in den Wahlkampf schicken. Dann haben sie eine Chance.

Tun die Piraten das nicht, sind sie in diesem Jahr zu ihrer vorerst letzten Fahrt aufgebrochen.

Korrigiert: Der politische Geschäftsführer der Piratenpartei heißt Christopher Lauer, nicht Christoph Hauer. Dank an Philip Banse für den Hinweis.


Warum ein Guttenberg zurückkehren muss

Nicht jetzt. Und nicht er. Aber Einer mit dem Talent von Guttenberg muss wieder kommen. Die Demokratie braucht Politikverkäufer. Denn sie sind auch Politiklehrer.

Er ist weg, die Diskussion bleibt. Wissenschaflter unterschreiben weiter den Offenen Brief an die Kanzlerin, die Facebook-Gruppe „Wir wollen Guttenberg zurück“ wächst minütlich. Es geht jetzt ums Prinzip. Die einen verteidigen die Würde der Wissenschaft, die anderen die Würde der Person Guttenberg. Beide machen öffentlich, was sie stört und durchbrechen so die Routine aus Resignation und Rückzug ins Private. Dass sich hier zwei Gruppen gegenüberstehen, ist gut. Öffentlicher Streit ist der Motor einer Demokratie.

Guttenberg hat viel Porzellan zerschlagen. Aber auch Menschen wieder politisiert, die den Glauben an die in Berlin schon verloren hatten. „Guttenberg war seit langem der erste Politiker, der es über die Wahrnehmungsschwelle dieser Bevölkerungsgruppe geschafft hat, alle übrigen verschwimmen in ihren Augen in derselben grauen Masse“, heißt es in einem klugen Kommentar auf Netzpolitik.

Wenn Kommentatoren oder Mitstreiter Guttenbergs „politisches Talent“ lobten, dann meinten sie diese Fähigkeit: Menschen erreichen und bewegen. Und die ist  kostbar, weil selten geworden unter den Technokraten und Verwaltungsfachangestellten in den Berliner Politikschmieden.

Dabei braucht die Demokratie solche Talente heute dringender denn je. Denn diese Politiker, die Hunderttausende für ihre Person mobilisieren können, könnten auch Hunderttausenden Politik in ihrer ganzen Komplexität vermitteln. Sie könnten ihre persönliche Glaubwürdigkeit wie einen Mantel um Sachtthemen legen: „Schaut her, dieses Thema ist wichtig, darüber müssen wir reden.“ Solche Politiker sind Demokratielehrer. Sie braucht es, um die Verdrossenen und Resignierten wieder ins Boot zu holen.

Bildquelle: Wikipedia

Guttenberg, Öffentlichkeit und unsere Demokratie – Links zum Wochenende

Die Lüge ist ministrabel geworden (SpOn)

Die ganze Diskussion um Guttenberg drehte sich um ihn als Person, sein Amt, die Rolle der BILD-Zeitung und die Glaubwürdigkeit der Universität Bayreuth. Allerdings geht die Sache noch viel tiefer, an die Wurzeln unseres demokratischen Selbstverständnisses. Denn da hat nicht nur ein Doktorand abgeschrieben, sondern ein Minister, auf dessen Homepage  „Politik braucht klare Werte“ steht, das Volk belogen. Dass Guttenberg dafür nicht zurücktreten muss, sei eine Zäsur in der politischen Kultur der Bundesrepublik, schreibt Stefan Kuzmany auf SpOn. „Wenn ein Politiker von Werten redet und von Verantwortung, dann handelt es sich dabei nur um eine Simulation. Begriffe wie Anstand und Ehrgefühl werden nur bemüht, weil sie das Publikum gerne hören will. Doch sie bedeuten nichts. Das ist nicht gut für die Demokratie.“

Zivil-militärischer Medienkrieg (GFP)

„Die Presse ist kein Hindernis, sondern Teil des Schlachtfeldes. Sie müssen sie benutzen, von innen heraus. Wie Sonne, Nebel oder Schnee sind auch die Medien eine Rahmenbedingung der Schlacht.“ Nein, das hat kein zentralasiatischer Despot gesagt, sondern der Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in Europa, Wesley Clark, anlässlich des Kosovo-Krieges. Das Zitat steht in der Einleitung zu einem neuen Reader Sicherheitspolitik der Bundeswehr. Formuliertes Ziel: „Der mediale Krieg sollte eine theoretische Unterfütterung erhalten.“ Wie die aussehen soll, wird auf den nächsten Seiten klar. Da schreibt etwa Niklas Schörning, Vorstandsmitglied der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung: „[Es ist] für die Regierung wichtig, eine Absicherungs- oder Hedging- Strategie gegen potenzielle eigene Opfer zu finden, da sich nur so die Opfersensibilitätsfalle umgehen lässt.“ ‚Opfersensibilitätsfalle‘ – lieber Leser, lass dir dieses Wort auf der Zunge zergehen. Was für ein Zynismus gegenüber den toten Soldaten und gegenüber dem Willen des Volks.

Retten die Blogger die Demokratie? (Nachdenkseiten)

Jens Berger von spiegelfechter.com, einer der führenden deutschen Politikblogs, bilanziert die politische Blogosphäre und kommt zu einem verhalten optimistischen Schluss. Die Polit-Blogger hierzulande sind Korrektiv zur Gatekeeper-Funktion der klassischen Medien“, sie können Protestbewegungen begleiten und bestenfalls verstärken. Um selbst Themen zu setzen, fehle es den deutschen Blogs aber an Reichweite und Professionalität.

18.Sachverständiger

Es ist ein Novum der deutschen Politik: Erstmals haben die Bürger die Möglichkeit sich direkt in den politischen Prozess des Bundestages einzubringen – ohne zuvor tausende Unterschriften für eine Petition zu sammeln. Auf enquetebeteiligung.de kann jeder mitreden und abstimmen. Noch geht es nur um Stellungnahmen zu den Arbeitsgruppen der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“, noch sind die Parlamentarier und Sachverständigen der Kommission zu nichts verpflichtet. Sie können diese Stellungnahmen in ihre Arbeit einfliessen lassen, müssen es aber nicht. Beteiligen sich jedoch genügend Bürger an der Erarbeitung der Stellungnahmen und haben diese inhaltliche Substanz, steigt der Druck auf die politischen Organe, solche Formen der Partizipation öfter einzusetzen. Für unsere Demokratie wäre das ein Glücksfall.

Schönes Wochenende!