Gustav Mahler und Marteria

Als ich merkte, dass Mahler und Marteria mehr gemeinsam haben, als sagen wir mal Mahler und Brahms, wollte ich die Gardinen aufziehen, Licht ins Zimmer lassen und in die Welt schauen. Ich verstand sofort, warum ich diesen Wunsch spürte, denn diese sonderbare Paarung ergab sich während Marteria von Schlaftabletten rappte; ich verband das mit jener schwarzen Symphonie, die Mahler kurz vor seinem Tod komponierte, und war sehr glücklich über diese Entdeckung.

MAHLER

MARTERIA

Marteria – Veronal (Eine Tablette nur) (ft. Miss Platnum) from GermanDream on Vimeo.

porträt teju cole, autor, usa, nigeria, roman open city

Teju Cole: „Open City“ (und der Groove)

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Teju Cole

Ich habe lange nicht verstanden, was es bedeuten soll, wenn ein Text „Rhythmus“ hat. Eine Sprach-Melodie ergibt sich aus Wortwahl, Tonlage, Satzlänge, klar. Aber einem ganzen Buch einen bestimmten Takt zusprechen zu wollen, hielt ich für vermessen – bis ich Teju Coles‘ „Open City“ gelesen hatte.

Denn dieses Buch groovt. Was daran liegen kann, dass darin einer durchweg läuft, durch die Straßen von New York und Brüssel, durch die Kultur Europas und die amerikanische Rassen-Gegenwart, durch Mahlers 9. Symphonie und die Trümmer des 11. September 2001. Und ein guter Groove ist genau das: beweglich, aber schwer und erhaben.

Genauer: Groove ist, wenn der Takt allein schon ein Gefühl ist; und in diesem Roman schwingt jedes Kapitel einer rein essayistischen Pointe zu und gibt so einen besonnenen Takt vor, das Klopfen der Einfälle. Der Leser fühlt sich ruhig dabei.

SW #128 – Druck

Insanity laughs under pressure we’re cracking
Can’t we give ourselves one more chance
Why can’t we give love that one more chance
Why can’t we give love give love give love give love
give love give love give love give love give love
‚Cause love’s such an old fashioned word
And love dares you to care for
The people on the edge of the Night
And love dares you to change our way of
Caring about ourselves
This is our last dance
This is our last dance
This is ourselves
Under pressure
Under pressure
Pressure

Freddie Mercury, David Bowie

SW# 126 – Was rettet die Welt

Jemand hat etwas an die Wand geschrieben, die Buchstaben hell und blau,
kein Regen, keine Sonne, kein Wind in weißen Segeln.
Da steht: Was rettet die Welt?

Die Gleichheit im Gleichschritt der Sozialisten,
Imperialisten marschieren,
marschieren, produzieren, ich lese:
Was rettet die Welt?

Auf einem kleinen, roten Blatt in der Pfütze, einem Zettel am Baum,
am Bahnhof auf der Tafel in brüchigen Farben, auch hier nur:
Was rettet die Welt?

Nicht das Reden, nicht das Schweigen, nicht das Hören, nicht das Sehen,
nicht Konfuzianismus, Narzissmus, Kommunismus,
-ismus, -ismus.

Da steht auf der Platakwand vom Regen erweicht, vom Wind zerrissen:
-ismus, -ismus.

Doch:
Was rettet die Welt?

Kein Toben, kein Beben, kein Licht, kein Wasser, ein Schatten,
im Schatten ein Mann, eine Frau.

Im Schatten ein Mann, eine Frau,
Was rettet uns?

Katrin Sass, „Was rettet die Welt“ aus CD „Königskinder“