SW #116

To grasp what is happening, we must set aside a number of deep-rooted prejudices. The first of these is the assumption that democracy presupposes secularisation. The second is the idea that a democrat is, by definition, also a liberal. Historically, this has not been the case. The American Founding Fathers were not secularists; for them, the separation of church and state was a way of protecting religion from government, not the reverse. The French Third Republic was established in 1871 by a predo­minantly conservative, Catholic, monarchist parliament that had just crushed the Paris Commune.

Oliver Roy

SW #31

Ich glaube, was vor allem erst mal zu einer Abkehr von der parlamentarischen Demokratie führt, ist das große Missverständnis der Bevölkerung, Demokratie sei so eine Art Selbstbedienungsladen, in dem man selber als guter Politikkonsument im Sessel sitzt und immer guckt, ob einem das gefällt, was sie da gerade machen oder nicht. Und wenn einem das gerade nicht gefällt, so wie das zurzeit eben allgemeine Meinung ist, dann tönt man halt rum, die Demokratie ist in Gefahr und es läuft alles falsch.

Juli Zeh

Vom Ideenministerium zur Verfassungsversammlung – Island reformiert sich im Internet

Die Isländer machen es jetzt anders. Mit offenen Strukturen und neuen Mitmach-Methoden wollen sie das Land reformieren und die Demokratie ins 21. Jahrhundert führen.

Wahlen und Meinungsumfragen, Untersuchungsaussüsse und öffentliche Kontrolle des Staates hatten nicht verhindert, dass das Land in die tiefste Krise seit seiner Gründung abgerutscht ist. Die rigorose Liberalisierung der Regierung haben eine massive Finanz-Blase entstehen lassen. Die Folge: Verstaatlichte Banken, explodierende Schulden, Verlust des Vertrauens in die Eliten.

Der IT-Unternehmer Guðjón Már Guðjónsson  und der Unternehmensberater Bjarni S. Jonsson sind die Väter einer neuen Demokratie-Bewegung.  Sie haben Prinzipen aus der Computer-Welt in die Politik eingebracht: Offene Ideenfindung, volle Transparenz und die Möglichkeit für jeden, mitzuarbeiten und den „Quellcode“ zu verändern.

Keine herkömmliche Organisation, sondern ein Ideenministerium

Anstatt eine herkömmliche gemeinnützige Organisation zu gründen und darauf zu hoffen, dass aus ihr neue Ideen für die Reform des Landes erwachsen, hat Guðjónsson das so genannte Ideenministerium etabliert – zunächst nur online auf englisch und isländisch (Seiten inzwischen offline). Dort konnten Vorschläge gesammelt, ausgetauscht und bewertet werden.  Ganz so, wie es zur Zeit mit dem „18. Sachverständigen“ begleitend zur Internet-Enquete in Deutschland geschieht. Der Unterschied: Die Isländer haben ein ganzes Land zu reformieren.  Auf der Homepage wurde als Ziel für das Ideenministerium formuliert:

Solving the current challenges by adding new policies to an already fractured framework, as well as injecting economic stimulants, should merely be a short-term fix, to keep the wheels turning while getting to the root of the problem. We now know that long-term problems are not solved with short-term solutions. The very foundations of liberty and democracy must be revisited.

Die FTD berichtet, dass bald nach seiner Einrichtung  immer mehr Vorschläge beim Ideenministerium eingereicht wurden, und die Bürger in so großer Zahl daran teilnahmen, dass auch eine echte, reale Versammlung zu Stande kam. Zur Vollversammlung des Ideenministeriums wurden 1200 Menschen eingeladen, alle von ihnen zufällig  aus dem Melderegister ausgewählt. Heraus kam ein recht gutes Abbild der isländischen Gesellschaft.

Es entsteht eine Paulskirche 2.0

Die zufällig ausgewählten Delegierten wurden von 300 Mitarbeitern von gemeinnützigen Organisationen, Parteimitgliedern, Verwaltungsleuten und Abgeordneten unterstüzt. In Neunergruppen setzten sie sich zusammen und diskutierten die Ideen. Die Ergebnisse dieser Gesprächsrunden katalogisierte und ordnete ein Computer, um daraus eine Ideenwolke zu entwickeln. Der Clou dabei: Alle Ideen standen online, waren einsehbar und änderbar für jeden. Die Vorschläge zur Reform des Landes durchliefen so einen viel stärkeren und vor allem transparenteren Filterprozess als es die gängige Verwaltungs- und Demokratiepraxis vorsieht. Letztlich konnten nicht nur die 1500 Menschen auf der Konferenz an der Zukunft des Landes basteln, sondern jeder, der einen Internet-Anschluss hat – eine Paulskirche 2.0 quasi.

Und die Initiative hat Wirkung gezeigt. Denn die Isländer haben eine neue Verfassungsversammlung gebildet, die nicht nur den etablierten Repräsentanten offen stand, sondern auch den Bürgern; einzige Bedingung: Sie mussten gewählt werden. Das war ein Novum in der Geschichte des Landes. Der isländische Premierminister machte 2009 klar, warum er den Prozess so offen gestaltet hat:

In a statement accompanying the bill the reasons why ideas about a Constitutional Assembly had been revivified were said to be mainly due to the extensive social discourse [Hervorhebung d. Autors] about the need to review the basis of the Icelandic administration following the collapse of the banks and the economic meltdown of the Icelandic economy.

Der Sprung aus der virtuellen in die reale Welt ist geglückt

Die virtuelle Bewegung hatte sich also nicht in Slacktivismus, dem anstrengungslosen Untertstützen von Online-Aktionen, erschöpft. Der Sprung von der virtuellen Welt in die reale ist den Isländern gelungen. Zur Zeit feilen gewählte Arbeitsgruppen der Verfassungsversammlung an Vorschlägen zur Reform. Auf der Homepage, auf Facebook und Twitter kann sich jeder Bürger beteiligen und die Fortschritte verfolgen.

Noch ist es zu früh, um diesen Verfassungsprozess Islands endgültig zu bewerten. Sicher ist aber schon jetzt: Dessen Mischung von analoger und digitaler Teilhabe kann die Legitimation moderner Demokratien vergrößern. Hätte man Stuttgart 21 zumindest auf diese Weise geplant,  hätte viel Ärger vermieden werden und Heiner Geissler im Ruhestand bleiben können. Transparente Ideenfindung heißt Einbindung heißt Schlichtung. Durch digitale Foren wie das Ideenministerium oder die Online-Strategie der Verfassungsversammlung kann der Eindruck vieler Bürger, dass „die da oben“ machen, was sie wollen, bekämpft werden.

Bildquelle: http://on.fb.me/mjbJmE

Warum ein Guttenberg zurückkehren muss

Nicht jetzt. Und nicht er. Aber Einer mit dem Talent von Guttenberg muss wieder kommen. Die Demokratie braucht Politikverkäufer. Denn sie sind auch Politiklehrer.

Er ist weg, die Diskussion bleibt. Wissenschaflter unterschreiben weiter den Offenen Brief an die Kanzlerin, die Facebook-Gruppe „Wir wollen Guttenberg zurück“ wächst minütlich. Es geht jetzt ums Prinzip. Die einen verteidigen die Würde der Wissenschaft, die anderen die Würde der Person Guttenberg. Beide machen öffentlich, was sie stört und durchbrechen so die Routine aus Resignation und Rückzug ins Private. Dass sich hier zwei Gruppen gegenüberstehen, ist gut. Öffentlicher Streit ist der Motor einer Demokratie.

Guttenberg hat viel Porzellan zerschlagen. Aber auch Menschen wieder politisiert, die den Glauben an die in Berlin schon verloren hatten. „Guttenberg war seit langem der erste Politiker, der es über die Wahrnehmungsschwelle dieser Bevölkerungsgruppe geschafft hat, alle übrigen verschwimmen in ihren Augen in derselben grauen Masse“, heißt es in einem klugen Kommentar auf Netzpolitik.

Wenn Kommentatoren oder Mitstreiter Guttenbergs „politisches Talent“ lobten, dann meinten sie diese Fähigkeit: Menschen erreichen und bewegen. Und die ist  kostbar, weil selten geworden unter den Technokraten und Verwaltungsfachangestellten in den Berliner Politikschmieden.

Dabei braucht die Demokratie solche Talente heute dringender denn je. Denn diese Politiker, die Hunderttausende für ihre Person mobilisieren können, könnten auch Hunderttausenden Politik in ihrer ganzen Komplexität vermitteln. Sie könnten ihre persönliche Glaubwürdigkeit wie einen Mantel um Sachtthemen legen: „Schaut her, dieses Thema ist wichtig, darüber müssen wir reden.“ Solche Politiker sind Demokratielehrer. Sie braucht es, um die Verdrossenen und Resignierten wieder ins Boot zu holen.

Bildquelle: Wikipedia