A Walk Around The Park

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Warum ich bei Krautreporter mitmache

Rico Grimm, Krautreporter from Krautreporter on Vimeo.

1. Weil es so naheliegend ist, Journalismus nur durch die Leser zu finanzieren – und es trotzdem in Deutschland auf diesem Niveau noch nie ausprobiert wurde.

2. Dabei hätte dieses Modell Vorteile für Autoren und Leser. Weil wir Journalisten über Themen schreiben könnte, die wichtig und interessant sind, aber in anderen Medien nicht veröffentlicht werden konnten, etwa weil sie nicht aktuell genug waren, zu komplex oder schlicht das Geld in der Redaktion fehlte. Etwa solche Beiträge, die alle aus meinem Alltag stammen:

  • über einen Bundeswehroberst, der mit Verweis auf das Grundgesetz Befehle verweigert hatte, dafür vom Bundesverwaltungsgericht Recht bekam und seitdem nie wieder befördert wurde
  • über die ersten privaten Weltraumraketen der Geschichte – die aus Deutschland stammten, im Kongo getestet wurden und für ein geheimes Cruise-Missile-Programm der Bundesrepublik gehalten wurden
  • über die Boom-Region Irak-Kurdistan, der gerade sein erstes Fass Öl ausgeliefert hat (u.a. an Israel) und der Nukleus für einen eigenen kurdischen Staat werden könnte.

3. Weil ich noch weiter mit fotojournalistischen Formaten, etwa solchen kurzen FotoText-Porträts experimentieren will. Denn ich glaube, dass „Geschichte“ bedeutungslos ist, wenn wir nicht erzählen, wie einzelne Menschen an ihr teil haben – und ihr Leben von ihr geformt wird.

4. Weil ich kein schlechtes Gewissen mehr haben will, wenn ich einen Text für ein Online-Medium schreibe – ob der Selbst-Ausbeutung, die das mit sich bringt. (Zur Info: 180 € vor Steuern für zwei Tage Arbeit sind nicht unüblich.)

5. Weil nichts so befriedigend ist, wie ein gutes Gespräch. Und das würde ich gerne mit den Lesern von Krautreporter führen. Mein großes Vorbild dabei: Ta Nehisi-Coats vom US-Magazin The Atlantic, der eine Kommentarspalte mit einem Abendessen vergleicht, zu dem der Leser eingeladen wird.

6. Weil der Hashtag #longreads abgeschafft gehört. Schließlich sollten lange, hintergründige Texte online nichts Besonderes mehr sein.

7. Weil Krautreporter das beste Argument gegenüber Verlagsmenschen für mehr Investitionen und Experimente wäre. In allen Häusern.

8. Weil ich nicht oft in meinem Leben ein Magazin gründen könnte. Und ihr auch nicht! Also werdet Mitgründer: www.krautreporter.de

SW #147 – Akzentuiertes Denken

In Deutschland glauben wir: Wenn jemand mit Akzent spricht, dann denkt er mit Akzent.

Shermin Langhoff, Intendantin Maxim Gorki Theater, KulturSpiegel 4/2014

Und das Prinzenpaar bleibt bis zum Schluss – Beim Seniorenfasching

Wenn wir 13 Jahre alt sind und es uns gelingt, uns den Weg in die Clubs zu lügen, dann schauen wir auf die Älteren, die nicht lügen mussten, um hereinzukommen und zwischen uns und ihnen liegen nur wenige Jahre und doch eine ganze Welt. Wenn wir 18 Jahre alt sind und nicht mehr lügen müssen und neuerdings in die angesagten Clubs gehen, dann sehen wir 30-Jährige und es ist etwas merkwürdig, denn zwischen uns und ihnen liegt noch eine ganze Generation. Wenn wir aber 70 Jahre alt sind, und zu einem Fasching gehen, dann treffen wir dort 87-Jährige und wir sind alle gleich, denn das Altern ist ein großer Befreier, das uns aus den Befangenheiten des Alltags löst.

So treffen sich die Herrschaften an einem Wochentag zum Seniorenfasching im Gemeinschaftshaus der Gropiusstadt zwischen grauen und nicht ganz so grauen Wohnhäusern. Sie haben sich für 15 Uhr verabredet, natürlich, denn das Altern nimmt uns auch die Pflicht immerzu strebsam und nüchtern zu sein, wenn die anderen in ihren Büros und Ämtern und Läden auch noch strebsam und nüchtern sind.

Vielleicht 100 Gäste sitzen an mehreren Tischreihen in diesem Haus, das eigentlich eine Halle ist. Um die Tische kreisen ein paar Mitglieder der Garde, die nachher mit Tamtam in den Saal einziehen werden. Sie schreiten in kleinen Grüppchen stolz auf und ab. Glöckchen an ihren Hüten bimmeln, Strass auf ihren Jacken glitzert und die Kümmerling-Flaschen klacken, wenn sie mit ihren Freunden anstoßen.

In den Winkeln und an den Wändern dieser kahlen Multifunktionshalle hängen große Papiersterne. Sie sind regenbogenfarben und gegenüber der Bühne lachen Masken. Statt Haaren kraulen sich Luftschlangen von ihrem Scheitel herab und auf der Bühne steht unter den Licht-Strahlern das Eberhard-Müller-Duo, das singen kann, aber manche Ton-Höhen nicht trifft.

Die Präsidentin der Garde, Frau Margot Hofmann, tritt an den Tisch der Ehrenamtlichen, die mittags die Sterne und die Masken aus dem Lager herangeschafft hatten. Sie bedankt sich mit einem feisten Lächeln und am Revers ihres Jacketts hat sie neun Anstecker von anderen Vereinen der Stadt hängen, neun allein aus diesem Jahr. Frau Hofmann warnt schon einmal, dass das Programm bis zur ersten Tanzpause noch etwas langweilig werde, weil es ja so schwer sei alle Leute zu kriegen, die seien ja alle berufstätig. Aber das Prinzenpaar, sagt Frau Hofmann, das bleibe wohl bis zum Schluss.

Die Herrschaften in der Halle finden es dabei nicht so schlimm, dass es Donnerstag ist und dass es etwas langweilig werden könnte und dass die Musiker nicht alle Töne treffen, sie streichen ihre Blusen glatt und straffen ihre Hemden. Sie fassen ihre Lieben an der Hand und schlängeln sich zwischen den Stühlen hindurch zur Tanzfläche, keiner beäugt sie dabei und dann tanzen sie, rot, rot, rot sind die Rosen, ganz langsam drehen sie sich umeinander und es werden immer mehr Paare. Alle kreisen um einen Mittelpunkt, den nur sie kennen und draußen zwischen den grauen Wohnhäusern kommen die Leute von der Arbeit heim und das Prinzenpaar, das bleibt bis zum Schluss.

Dieser Text erschien in Zitty, Ausgabe 25, in der Reihe: „Wir sind viele“, leicht verändert.

Anzüge zum Marschieren

Was die europäische Krise so verwirrend macht: Wenn ein junger Deutscher sich heute seine Stiefel eng und fest schnürt und seinen Rucksack packt, dann fragen sich die Anderen schlicht: Wohin will er wandern? Wenn er aber einen Anzug anlegt, seine pomadierten Schuhe bindet und sich einen Aktenkoffer greift, dann zittert der Kontinent: Wohin will er marschieren?

Jobwunder

In Deutschland müssen Jobwunder keine Menschen mehr ernähren. Diese Anforderung wurde mit einem amtlichen Federstrich als Teil eines neuen Maßnahmenpakets zum Bürokratieabbau abgeschafft. Regierungs-Schreiben, die Mitteilung von diesem Erfolg der Wirtschaftsförderung machen, wurden in den Redaktionen der Republik aufmerksam zur Kenntnis genommen und das entsprechende Vokabular bereits aktualisiert (Vgl. Schlagzeile der Süddeutschen Zeitung vom 27.11.2013). Für die Regierung der BRD muss diese Maßnahme also als ein doppelter Erfolg angesehen werden. Wenn man die eingesparten Opportunitätskosten im Vergleich zu den alten Anforderungen betrachtet, entsteht eine Win-Win-Situation für Staat und Bürger. Im Lichte dieses Ergebnisses ist eine Durchführung dieser Maßnahme auch in den Ländern Südeuropas angezeigt.

Wir waren perfekt, mit nur einem Makel

Sie berechneten, was unserem Geist zugeführt werden muss und prüften die Lehrer und ihre Bücher und sie legten uns eine Liste vor: „Das sind die besten Universitäten des Landes.“ Dort formte man uns zu Einkäufern der Liebe, Ingenieuren von Freundschaften und Werbefachmännern der Seele. Wir gingen ab und waren geschult für diese Welt, waren die Besten und Klügsten, sie hatten sich einen neuen Menschen erschaffen; und wir produzierten, justierten, bilanzierten, wir waren perfekt, mit nur einem Makel: Wir weigerten uns beharrlich, Kinder zu bekommen.

(In den Nachrichten heißt es: „Deutschland gehört zu den zwölf EU-Mitgliedstaaten, in denen im Jahr 2012 mehr Menschen starben als lebend geboren wurden.“)

Schwarz-Weiß-Rotes Nationaltrikot – kann man ja mal machen

Das kann man machen: Man kann das neue Trikot der deutschen Fußballnationalmannschaft in jenen Farben halten, mit denen schon die Truppen des Norddeutschen Bundes 1870 die Franzosen bei Sedan schlugen, und die Sturmgeschütze des Kaisers beflaggt waren als sie in den Gräben an der Marne aufgehalten wurden und in jenen Farben, die das Reichsflaggengesetz vom 15. September 1935 als die Reichsfarben definierte. Schwarz-Weiß-Rot, das kann man natürlich machen, weil da ist ja noch dieser schmale golden-silbrige Streif auf der Brust, man muss aber eigentlich sagen: am Horizont. Und überhaupt, da ist ja nichts dabei. Es ist ja nur Fußball, so wie der Elfmeter von Andy Brehme 1990 einfach nur irgendein Elfmeter war und die WM 2006 einfach nur irgendein Sportereignis in Deutschland. Dann kann man das ja machen.

Bildquelle: DFB/adidas

Selbstzerstörung im Autopilot – 5 Zeichen, dass die US-Macht gerade implodiert

Viel Tinte wurde schon verbraucht, um den vermeintlichen Abstieg der USA zu beschreiben. Viele Analysen stützten sich dabei auf das Unvermeidliche: den Aufstieg Chinas, Indiens, Brasiliens. Die USA verlierten ihre Macht relativ zu anderen Ländern, nicht absolut. Im Moment ändert sich das. Die Vereinigten Staaten büßen an substantieller Kraft ein. Das ist nicht unvermeidlich, das ist ein hausgemachtes Problem. „Selbstzerstörung im Autopilot – 5 Zeichen, dass die US-Macht gerade implodiert“ weiterlesen

SW #120

Die Waffen für zwei Weltkriege geliefert, nie eine Wahl gehabt, unter die Erde und in die Gluthitze der Hochöfen gezwungen, beide Kriege verloren, Millionen von Menschen getötet. Und nie, nie, niemals durftest du darüber reden. Sonst kriegst du auf die Fresse. Ich sag’ mal so: Aufrechter Gang geht anders. Wer das Ruhrgebiet verstehen will, muß sich mit diesem sehr komplexen, vielschichtigen, zähen Gefühl auseinandersetzen: Scham. Und er muß damit rechnen, dass er dafür auf die Fresse kriegt.

„Ruhrgebiet inszenieren!“ von Michael-Walter Erdmann, Lettre International

SW #119

Wäre das Land vernünftig statt sentimental, würde es aufhören, sich etwas vorzumachen. Es würde sich als das begreifen und benennen, was es ist: eine Klassengesellschaft.

Katja Kullmann, „Im kalten Nebel“

Außenpolitik-Bingo zum TV-Duell

Witzige Idee des IR-Blogs für das TV-Duell zwischen zwischen Steinbrück und Merkel.

Hier gibt es das Bingo-PDF zum Herunterladen.

So einen Zettel kann man auch selbst herstellen:

lkw der bundeswehr im frühjahr 2013 in kahramanmaras, türkei, teil des patriot-kontingentes der nato

Warum Deutschland bei einem Angriff auf Assads Syrien dabei sein wird

lkw der bundeswehr im frühjahr 2013 in kahramanmaras, türkei, teil des patriot-kontingentes der nato

Die USA verstärken ihren Druck auf Syrien, gerade hat ihr Außenminister John Kerry gesagt, dass die USA Beweise für einen Giftgasangriff hätten. Die Militär-Planer feilen wohl schon an der Einsatz-Strategie. Und Deutschland wird dabei sein.

Der LKW oben im Bild ist gewissermaßen der Grund. Denn er ist Teil des deutschen Patriot-Abwehrraketen-Kontingentes in Kahramanmaras, in der Süd-Türkei. Ich hatte die deutschen Truppen dort im April besucht und mir die strategischen Hintergründe des Einsatzes angeschaut: Er dient vor allem der Beruhigung der Türkei, die Assad schon lange stürzen will. Die Bundesregierung betonte allerdings immer wieder, dass der Einsatz rein defensiv sei. Aber schon damals war klar:

Entscheidend dürfte jedoch nicht sein, was die Deutschen sagen, sondern wie das Regime den Nato-Einsatz auffasst. Assads Flugzeuge flögen seit der Stationierung der Patriot-Batterien „in regelmäßigen Abständen“ auf die Grenze zu, berichtet Marcus Ellermann [Der Kommandant – R.G.]. Abfangjäger stiegen auf und erst kurz vor türkischem Gebiet würden die Syrier dann wieder abdrehen. „Sie testen unsere Alarmreaktion“, sagt Ellermann dazu. Das ist eine militärisch korrekte Beschreibung durch den Kommandanten. Das politische Signal ist allerdings ein anderes: Assad zeigt damit in regelmäßigen Abständen den Nato-Truppen den Mittelfinger.

Sollte Assads Regime angegriffen werden, unter Nato-Kommando oder durch einen losen Koalitions-Verbund von USA, Großbritannien, Türkei, vielleicht Frankreich, dann wird Baschar al-Assad keine Unterscheidung machen zwischen den direkten Angreifern und ihren Verbündeten – und vor allem nicht zwischen türkischen Soldaten auf türkischem Boden und deutschen Soldaten auf türkischem Boden.

Der einzige Ausweg wäre der Abzug der deutschen Patriot-Truppen, aber das kann sich Deutschland nach seiner sachlich wohl begründeten, aber bündnispolitisch katastrophalen Enthaltung in der Libyen-Frage nicht mehr leisten. Deswegen gibt es für Angela Merkel kein „Syrien-Dilemma“ wie Hans Monath im Tagesspiegel schreibt.

Deutschland wird dabei sein, weil es längst dabei ist.

john dyke singer songwriter australia melbourne germany dyko berlin

John Dyke, ein australischer Sänger in Berlin

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Das ist John Dyke. Er wuchs in Melbourne, Australien, auf und lebt nun als Sänger in Berlin. Das wäre gar nicht so besonders in dieser Künstlermetropole, wenn er nicht absolut fehlerfrei auf Deutsch singen und in einem Reihenhäuschen mitten in Berlin-Friedrichshain wohnen würde, mit Frau und Kindern und Gartendusche (siehe Foto).

Deutsch hat sich John Dyke mit alten Sprachkassetten aus den 70er-Jahren selbst beigebracht. Wer diese Videos sieht, muss sich wundern, dass er danach Deutschland überhaupt noch Ernst nehmen konnte. Als er vor 20 Jahren hierher kam, ging er in eine Bar. Er sagt: „Ich fand es einfach geil, dass man hier ein Bier bestellt und ein Strich auf dem Bierdeckel gemacht wird. Die Leute haben einem vertraut. In England etwa wäre das unvorstellbar.“

John Dyke war fasziniert von Deutschland, von der Band Kraftwerk. Er hat beim Schlagzeugmacher Sonor in der sauerländischen Provinz gearbeitet. Und das mit dem Deutsch und der Alltagskultur macht er so gut, dass er inzwischen eine Art Sonderbotschafter des Goethe-Instituts geworden ist. Da tritt er dann in New York oder in Usbekistan auf und singt solche Lieder:

vorort

ich bin sauer auf die stadt
mein leben hab ich satt
kann wieder schreiben oder lesen
was für ein geiles wesen

ich lebe in einem heim
mein gefühl ist: ganz allein
ich lebe in meinem vorort
und nichts passiert dort

nichts passiert dort
nichts passiert dort
nichts passiert dort

vorort vorort vorort
ich bin gefangen in meinem vorort
ich bin gefangen in meinem vorort
nichts passiert dort
ich bin gefangen in meinem vorort

omi ist gestorben
das hat alles verdorben
ich werd‘ alles erben
dann wird ich hier sterben

ich schau immer gloze
auf die schönheit könnte ich kotzen
mach die glotze aus
geh aus dem vorort raus
geh aus dem vorort raus

vorort vorort vorort
ich bin gefangen in mein vorort
ich bin gefangen in mein vorort
nichts passiert dort
ich bin gefangen in mein vorort baby

ich fühl mich nicht wohl
ich fühl mich ganz klein
muß mich ausdrucken
dann fühle ich mich fein

ich bin gefangen
ich bin gefangen

vorort……..
vorort……..
merhaba nachbar jetzt bin ich dort

Screenshot Quentin Tarantions "Django Unchained" USA Germany Essay Slavery Holocaust

Schuld und Sühne, Sklaverei und Holocaust

Screenshot Quentin Tarantions "Django Unchained" USA Germany Essay Slavery Holocaust

Susan Neiman, Direktorin des Einstein-Forums in Potsdam, hat für das Aeon Magazine einen sehr interessanten Essay über Sklaverei in den USA und Vergangenheitsbewältigung in Deutschland geschrieben.

History and guilt

Can America face up to the terrible reality of slavery in the way that Germany has faced up to the Holocaust?

Ausgehend von Django Unchained, dem Anti-Sklaverei-Western von Quentin Tarantino (Affiliate Link), fragt sie sich, ob die USA in der Lage wären die gleiche Form der Vergangenheitsbewältigung durchzuführen wie wir Deutschen. Tarantino hatte bei der Deutschland-Premiere des Films selbst Sklaverei und Holocaust gleichgesetzt. Neiman schreibt:

Germans have been wrestling with the question of history and guilt for more than 60 years now. Their example makes clear just how many moral questions a serious contemplation of guilt must raise for America. These include what constitutes guilt, what constitutes responsibility, and how these are connected. A common slogan of second-generation Germans has been: ‘Collective guilt, no! Collective responsibility, yes!’ But the question of what responsibility entails has been politically fraught. Does taking responsibility for a violent history demand an eternal commitment to pacifism? Or to supporting the government of Israel whatever it does, as some argue? Or rather to supporting the Palestinian people whatever they do, as others have claimed?

Das sind starke Fragen für uns Deutsche, gerade für uns jungen der 3. Generation (ich bin 26 Jahre alt). Neiman zieht Vergleiche zu den USA, die diese Fragen nicht gestellt haben, obwohl es noch gar nicht so lange her ist, dass Schwarze in amerikanischen Bussen hinten sitzen mussten.

Ich glaube aber, dass der Fokus auf die USA noch zu kurz greift. Die Fragen müssen sich viele stellen: US-Amerikaner, Franzosen, Australier, Israelis, Türken, Iraker, Kurden, Chinesen. Denn – ohne dabei die spezifischen Bedingungen der verschiedenen Ereignisse in Frage stellen zu wollen – komme ich auf kein Land, das nicht an irgendeinem Punkt seiner Geschichte die Rechte anderer Völker mit Füßen getreten hat. (Falls euch eines einfällt, lasst es mich wissen.) Den anderen Menschen Leid zuzufügen scheint eine Konstante von Völkern, Nationen, Ländern zu sein.

Wenn man versucht, das zu begreifen, zu verstehen, dass es keine „gute Nation“ geben kann, „kein Licht der Heiden“, kein „God’s own country“, dass Nationen immer gleichzeitig gut und schlecht sind – dann wird es zu einer Lehrstunde in Demut, die man weder vergessen kann noch ignorieren. Deswegen ist Aufarbeitung so wichtig.

Foto: Szene aus „Django Unchained“: Leonardo di Caprio als ruchloser Sklavenhalter

Gunter Voelker, owner of "Deutscher Hof" Erbil, Irak

Gunter, deutscher Koch im Irak

Gunter Voelker, owner of "Deutscher Hof" Erbil, Irak

In dem großartigen Hamburg-Epos „Soul Kitchen“ gibt es eine Szene, in der ein Koch kündigt, in dem er mit seinem Messer einen Zettel an die Restaurant-Tür nagelt. Auf dem Zettel steht: „Der Reisende ist noch nicht am Ende, er hat das Ziel noch nicht erreicht.“

Dieser Koch könnte Gunter sein. Er betreibt ein deutsches Restaurant im Irak, genauer: in Erbil, der Hauptstadt der autonomen Region Kurdistan. Als ich nach mehr als einem halben Jahr im Nahen Osten bei ihm ein Bier bestellte, war das ein bisschen als würde ich zurückkehren in die Welt, in der ich aufgewachsen bin. Seine Speisekarten waren schwarz, ein buntes, vertrautes Logo darauf. Die Brauerei, die sie geliefert hatte, habe ich oft gesehen, wenn ich als Junge mit meinen Eltern einen Fahrradausflug gemacht habe. Das Essen, das er anbietet, kannte ich von meiner Oma.

Gunter kommt aus Tabarz, einem Örtchen in Thüringen, dem gleichen Bundesland, aus dem ich auch stamme. Dass er mal Thüringer Klöse im Irak kocht, war alles andere als klar als er im Herbst 1989 einmal „spazieren“ ging, also demonstrieren war. Zur Rache berief ihn die DDR-Regierung in die Nationale Volksarmee ein, ein paar Wochen später fiel die Mauer und Gunter fand sich in einer Armee wieder, die gerade noch den Klassenfeind im Westen bekämpfen sollte, aber nun dabei war, die Vereinigung mit der Bundeswehr zu vollziehen. Gunter blieb. Er machte das, was er gelernt hatte. Er kochte. Auf dem Balkan, dann in Kabul – dort schließlich eröffnete er seinen ersten Deutschen Hof. Es lief gut bis es zuviele Anschläge gab. Gunter schloss ab und flog nach Hause. 30.000 investierte Euro waren weg. Neuer Versuch in Erbil, Irak. Bald auch auf Sri Lanka.

Als ich mit Gunter sprach, merkte ich, dass er nicht wieder in Deutschland leben kann. Draußen in der Welt, da kann er wer sein. In Deutschland wäre er nur ein ehemaliger Bundeswehr-Koch. Als ich ihn nach Deutschland frage, fragt er zurück: „Was will ich denn da?“

thomas w. bundeswehr active fence syrien türkei patriot 2013 april

Thomas W.

thomas w. bundeswehr active fence syrien türkei patriot 2013 april

Das ist Thomas W.  Er ist einer von 300 Bundeswehr-Soldaten, die zu der Nato-Mission „Active Fence“ in der Südtürkei gehören.  Dort sollen sie die Zivilbevölkerung gegen Raketenangriffe aus Syrien schützen, ihr eigentlicher Gegner ist aber ein anderer: die Langeweile.

Lest meine Reportage über die deutschen Truppen in der Türkei hier.

SW #103

“There must never again be and there will never again be a November 1918 in Germany,” was his first political resolution after a great many political ponderings and speculations. It was the first specific objective the young private politician set himself and incidentally the only one he truly accomplished. There was certainly no November 1918 in the Second World War—neither a timely termination of a lost war nor a revolution. Hitler prevented both.

Let us be clear about what this “never again a November 1918” implied. It implied quite a lot. First of all the determination to make impossible any future revolution in a situation analogous to November 1918. Secondly—since otherwise the first point would be left in the air—the determination to bring about once more a similar situation. And this implied, thirdly, the resumption of the war that was lost or believed to be lost. Fourthly, the war had to be resumed on the basis of a domestic constitution in which there were no potentially revolutionary forces. From here it was not far to the fifth point, the abolition of all Left-wing parties, and indeed why not, while one was about it, of all parties. Since, however, one could not abolish the people behind the Left-wing parties, the workers, they would have to be politically won over to nationalism, and this implied, sixth, that one had to offer them socialism, or at least a kind of socialism, in fact National Socialism. Seventh, their former faith, Marxism, had to be uprooted and that meant—eighth—the physical annihilation of the Marxist politicians and intellectuals who, fortunately, included quite a lot of Jews so that—ninth, and Hitler’s oldest wish—one could also, at the same time, exterminate all the Jews.

Sebastian Haffner, “The Meaning of Hitler”

Portrait of a Kurdish Peshmerga who fought 2003 in Operation "Enduring Freedom"

Wie ich einen Peschmerga in einem irakischen Taxi traf

Portrait of a Kurdish Peshmerga who fought 2003 in Operation "Enduring Freedom"

Halmat traf ich an einer staubigen Taxihaltestelle in Koia. 2003 kämpfte er während der Operation „Enduring Freedom“ an der Seite der Amerikaner in Kirkuk. Heute ist er der Bodyguard des Vize-Premierminister Kosrat Rasul, einem viel gerühmten Guerillakrieger, der der „kurdische Che Guevara“ genannt wird. Halmat ist ein Peschmerga, Mitglied der legendären kurdischen Guerilla-Armee.

Er sprach nur Kurdisch und Arabisch, ein bisschen Farsi; ich nichts davon. Er zeigte mir seinen Dienstausweis, auf dem stand alles in feinstem Englisch – Spuren der amerikanischen Besatzung. Daher weiß ich das alles.


Route nach Sulaymaniyah, Irak auf einer größeren Karte anzeigen

Halmat und ich teilten uns ein Taxi nach Sulaymaniah im Osten Kurdistan. Nachdem wir in der Stadt angekommen waren, suchte ich dort mein Hotel. Halmat wollte helfen, verstand aber nicht, wohin ich wollte. Da reichte er mir wortlos ein Telefon. Am anderen Ende sagte jemand auf Deutsch: „Hallo? Alles klar?“, im Hintergrund klingelte eine Ladenkasse. Die Stimme dirigierte uns schließlich zum Hotel. Es war Halmats Bruder, der in Aachen ein Geschäft hat. Der Bruder sagte schließlich: „Du, ich muss los. Der Laden ist voll, du weißt ja, wie die Samstage in Deutschland sind.“ Oh ja, das weiß ich.

Jetzt weiß ich aber auch, wie die Samstage in Kurdistan sind.

SW #85

Ick seh dat so: Am Ende wird alles jut. Und wenn’s nich jut wird, is es noch nicht das Ende!

Andy, Neukölln in “Maria und Josef in Neukölln”, ZEIT, 19.12.2012

SW #81

Man kann morgens um fünf Uhr für das neueste Gerät [von Apple] anstehen. Man kann aber auch einen ganzen Tag lang vor dem Laden gegen unmenschliche Arbeitsverhältnisse protestieren.

Joachim Gauck, Bundespräsident der BRD

SW #74

In der Zeit vor dem Pillenknick waren Kinder noch kein kostbarer nachwachsender Rohstoff und kein Problem, sondern einfach nur da.

Peter Praschl, SZ Magazin, 4.3.2011

SW #70

Tags, nach acht, wenn der Berufsverkehr die Straßen überspült, wenn die Straßenbahnen quietschen, würden die Menschen rüde. Nach acht würden sie ihre Ellenbogen ausfahren. Nach acht seien jene unterwegs, die noch keine Niederlagen kennen, sagt Hoffmann. Nach acht werde er wieder angerempelt.

Henning Sußebach

SW #65

Wir können allet. Twitter, Blog, scheißejal. Jeb mir en Kanal und isch bedien ihn dir. Und irgendwann, da biste so mürbe. Und dann, dann hab isch disch.

Christoph Goller, inspiriert durch Kir Royal http://www.youtube.com/watch?v=LdQyQLs2THM

SW #42

Germans are technocrats holding Goethe in their hand.

Inspired by Georg Diez

SW #11

Der Inhalt zieht die Form auf.

Uwe Johnson

SW #4

Vielleicht hat der See das Bewusstsein verdorben, die Leute beginnen sich nach einer surrealen Vollkommenheit zu sehnen, die der Schmutz der Alltagswelt nicht mehr trübt: Zu der schönsten Abendsonne der Welt muss sich die schönste Herrschaftsform der Welt gesellen, die Demokratie der höheren Stände. Die Starnberger Republik.

Stephan Lebert

Vom Ideenministerium zur Verfassungsversammlung – Island reformiert sich im Internet

Die Isländer machen es jetzt anders. Mit offenen Strukturen und neuen Mitmach-Methoden wollen sie das Land reformieren und die Demokratie ins 21. Jahrhundert führen.

Wahlen und Meinungsumfragen, Untersuchungsaussüsse und öffentliche Kontrolle des Staates hatten nicht verhindert, dass das Land in die tiefste Krise seit seiner Gründung abgerutscht ist. Die rigorose Liberalisierung der Regierung haben eine massive Finanz-Blase entstehen lassen. Die Folge: Verstaatlichte Banken, explodierende Schulden, Verlust des Vertrauens in die Eliten.

Der IT-Unternehmer Guðjón Már Guðjónsson  und der Unternehmensberater Bjarni S. Jonsson sind die Väter einer neuen Demokratie-Bewegung.  Sie haben Prinzipen aus der Computer-Welt in die Politik eingebracht: Offene Ideenfindung, volle Transparenz und die Möglichkeit für jeden, mitzuarbeiten und den „Quellcode“ zu verändern.

Keine herkömmliche Organisation, sondern ein Ideenministerium

Anstatt eine herkömmliche gemeinnützige Organisation zu gründen und darauf zu hoffen, dass aus ihr neue Ideen für die Reform des Landes erwachsen, hat Guðjónsson das so genannte Ideenministerium etabliert – zunächst nur online auf englisch und isländisch (Seiten inzwischen offline). Dort konnten Vorschläge gesammelt, ausgetauscht und bewertet werden.  Ganz so, wie es zur Zeit mit dem „18. Sachverständigen“ begleitend zur Internet-Enquete in Deutschland geschieht. Der Unterschied: Die Isländer haben ein ganzes Land zu reformieren.  Auf der Homepage wurde als Ziel für das Ideenministerium formuliert:

Solving the current challenges by adding new policies to an already fractured framework, as well as injecting economic stimulants, should merely be a short-term fix, to keep the wheels turning while getting to the root of the problem. We now know that long-term problems are not solved with short-term solutions. The very foundations of liberty and democracy must be revisited.

Die FTD berichtet, dass bald nach seiner Einrichtung  immer mehr Vorschläge beim Ideenministerium eingereicht wurden, und die Bürger in so großer Zahl daran teilnahmen, dass auch eine echte, reale Versammlung zu Stande kam. Zur Vollversammlung des Ideenministeriums wurden 1200 Menschen eingeladen, alle von ihnen zufällig  aus dem Melderegister ausgewählt. Heraus kam ein recht gutes Abbild der isländischen Gesellschaft.

Es entsteht eine Paulskirche 2.0

Die zufällig ausgewählten Delegierten wurden von 300 Mitarbeitern von gemeinnützigen Organisationen, Parteimitgliedern, Verwaltungsleuten und Abgeordneten unterstüzt. In Neunergruppen setzten sie sich zusammen und diskutierten die Ideen. Die Ergebnisse dieser Gesprächsrunden katalogisierte und ordnete ein Computer, um daraus eine Ideenwolke zu entwickeln. Der Clou dabei: Alle Ideen standen online, waren einsehbar und änderbar für jeden. Die Vorschläge zur Reform des Landes durchliefen so einen viel stärkeren und vor allem transparenteren Filterprozess als es die gängige Verwaltungs- und Demokratiepraxis vorsieht. Letztlich konnten nicht nur die 1500 Menschen auf der Konferenz an der Zukunft des Landes basteln, sondern jeder, der einen Internet-Anschluss hat – eine Paulskirche 2.0 quasi.

Und die Initiative hat Wirkung gezeigt. Denn die Isländer haben eine neue Verfassungsversammlung gebildet, die nicht nur den etablierten Repräsentanten offen stand, sondern auch den Bürgern; einzige Bedingung: Sie mussten gewählt werden. Das war ein Novum in der Geschichte des Landes. Der isländische Premierminister machte 2009 klar, warum er den Prozess so offen gestaltet hat:

In a statement accompanying the bill the reasons why ideas about a Constitutional Assembly had been revivified were said to be mainly due to the extensive social discourse [Hervorhebung d. Autors] about the need to review the basis of the Icelandic administration following the collapse of the banks and the economic meltdown of the Icelandic economy.

Der Sprung aus der virtuellen in die reale Welt ist geglückt

Die virtuelle Bewegung hatte sich also nicht in Slacktivismus, dem anstrengungslosen Untertstützen von Online-Aktionen, erschöpft. Der Sprung von der virtuellen Welt in die reale ist den Isländern gelungen. Zur Zeit feilen gewählte Arbeitsgruppen der Verfassungsversammlung an Vorschlägen zur Reform. Auf der Homepage, auf Facebook und Twitter kann sich jeder Bürger beteiligen und die Fortschritte verfolgen.

Noch ist es zu früh, um diesen Verfassungsprozess Islands endgültig zu bewerten. Sicher ist aber schon jetzt: Dessen Mischung von analoger und digitaler Teilhabe kann die Legitimation moderner Demokratien vergrößern. Hätte man Stuttgart 21 zumindest auf diese Weise geplant,  hätte viel Ärger vermieden werden und Heiner Geissler im Ruhestand bleiben können. Transparente Ideenfindung heißt Einbindung heißt Schlichtung. Durch digitale Foren wie das Ideenministerium oder die Online-Strategie der Verfassungsversammlung kann der Eindruck vieler Bürger, dass „die da oben“ machen, was sie wollen, bekämpft werden.

Bildquelle: http://on.fb.me/mjbJmE

De Maizière und die Bundeswehr-Reform: „Werde eckig, Kreis!“

Verteidigungsminister Thomas de Maizière spricht im Bundestag über den von AWACS-Flugzeugen der Bundeswehr in Afghanistan. (Quelle: Bundeswehr/CC BY-ND 2.0)
Verteidigungsminister Thomas de Maizière spricht im Bundestag über den Einsatz von AWACS-Flugzeugen in Afghanistan. (Quelle: Bundeswehr/CC BY-ND 2.0)

Mit der Bundeswehrreform gibt Verteidigunsminister Thomas de Maizière den unmöglichsten Befehl seiner noch kurzen Amtszeit.

Die alten Männer in der Berliner Julius-Leber–Kaserne schauen skeptisch. Ganz so, als ob ihr Oberbefehlshaber, Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU), gerade einem Kreis befehlen würde, eckig zu werden.

Aber de Maizière kündigt nur in nüchternen Worten große Veränderungen an. Veränderungen, von denen viele profitieren sollen, das Land, der Kollege Finanzminister und die Soldaten – aber nicht unbedingt sie, die Herren Generäle und Ministerialdirektoren in ihren schicken grauen Uniformen. Denn de Maizière will die Bundeswehr nicht nur in eine Freiwilligenarmee umbauen, sie besser auf Auslandseinsätze vorbereiten und dabei sparen. Er will auch streichen: 1500 Stellen im Verteidigungsministerium, 35 000 Posten in der Bundeswehr und noch einmal 21 000 Arbeitsplätze in der zivilen Armee-Verwaltung. Er will an die Pfründe der alten Männer heran; 11 000 Euro im Monat verdient etwa so ein Herr General. Und der soll das bitteschön auch noch mittragen. „Wer das nicht kann, der hat keinen Platz“ sagt der Verteidigungsminister. „Kameradschaft auch in der Neuausrichtung, das ist die Haltung, die wir brauchen.“

Selbst für einen Polit-Haudegen wie de Maizière, der schon sächsicher Finanz-, Justiz- und Innenminister war, Kanzleramt und Bundesinnenministerium leitete, ist diese Anordnung außergewöhnlich, ist die Bundeswehrreform eine Mammut-Aufgabe. Schließlich sind die grauen Männer vor ihm ein konservatives Häuflein voller Starrsinn. Als sie sich das letzte Mal bewegt hatten, regierte Adenauer und die Sowjets drohten, vom Osten her die Republik zu überfallen. Das war 1955. Da gründete man die Bundeswehr und die Generäle und Ministerialdirektoren in der neuen Armee zogen einen Kreis um sich und sagten: „Hier kommt keiner mehr rein!“ Und de Maizière will ausgerechnet diesen Kreis jetzt mal schön eckig haben. Pfff.

Die Generäle sagten: „Hier kommt keiner mehr rein!“

Aber es sind nicht nur die alten Männer, die bei der Bundeswehrreform Probleme machen werden. Sondern auch die jungen. Bei ihnen werden de Maizières Befehle und plumpe Appelle an Kameradschaftsgeist und Patriotismus nicht helfen. 5 000 bis 15 000 Freiwillige müssen sich den Plänen des Verteidigungsministers zufolge Jahr für Jahr für den Armeedienst verpflichten lassen – und das bei einem Einstiegs-Sold von gut 777 Euro im Monat. Wer im Restaurant nebenan regelmäßig kellnern geht, kommt auf einen besseren Monatslohn. Wenn der Kellnerjob überhaupt sein muss. Schließlich wird die Bundeswehr nun in der in Armeekreisen viel zitierten „freien Wirtschaft“ mit Porsche, Bosch und McKinsey um Nachwuchs werben müssen. Die Jungen haben da schon eine stattliche Auswahl. Werden sie nun, deren Zahl schon auf natürlichem Wege immer geringer wird, ihren Hintern in talibanesisches Kalaschnikow-Feuer halten, wo sie auch schnelle Autos entwickeln oder nützliche Bohrmaschinen bauen könnten?

Eine Wahl hat übrigens auch der alternde Rest des Volks – zumindest alle vier Jahre. Und diesem Rest wird vor allem eines mißfallen: Dass die Zeiten der Geldbörsen-Außenpolitik vorbei sind. Das macht de Maizière in seiner Rede unmissverständlich klar. Wo die Bundesrepublik sich früher aus der Verantwortung herauskaufen konnte, soll heute gelten: Schießen statt Zahlen, mehr Afghanistan und nicht weniger.

„Wenn Wohlstand Verantwortung erfordert, dann gilt das auch für die deutsche Sicherheitspolitik“, sagt der Verteidigungsminister. Die deutsche Bevölkerung, die Uniform und Bundes-Trikolore seit 1945 mit Inbrunst ignoriert, wird das nicht vorbehaltlos mittragen. Schon jetzt sind 60 Prozent der Deutschen gegen den Afghanistan-Einsatz. Wenn es der Bundesregierung nicht gelingt, die Bevölkerung von dieser neuen Militär-Doktrin zu überzeugen, wird es eng beim nächsten Wahlgang. Denn für den derzeitigen Darling der deutschen Wählerschaft, die friedlichen, täubischen Grünen, wären echte Debatten über Kriegsfragen Beliebtheits-Doping.

Für die Grünen wären Kriegs-Debatten Beliebtheits-Doping

Und überhaupt. Deutschland steht ja nicht allein. Das ganze Sparen, Streichen und Schmeicheln wird de Maizière unter der kritischen Beobachtung der Bündnispartner in EU und Nato erledigen müssen. Viel außenpolitischen Kredit hatte Deutschland schon mit seiner Enthaltung in der Libyen-Frage verspielt. Weitere Alleingänge wird es sich nicht leisten können, will es sich mit seinem Anspruch auf einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat nicht vollends lächerlich machen. Da hat der grüne Falke Fischer völlig recht.

Also: Alte und junge Männer, Wahlvolk, Chefin und die lieben Bündnispartner muss de Maizère zufriedenstellen. Die Formulierung, die sich dafür aufdrängt, will man ja gar nicht schreiben, der Kalauer ist zu nah, aber sie trifft es. Die Bundeswehrreform ist schon jetzt: ein Himmelfahrtskommando.

Und da hat de Maizère noch gar nicht über Geld allgemein und Rüstungsprojekte (noch mehr Geld) und Armeestandorte (das meiste Geld) gesprochen.

Bayern-Patriot Seehofer hat jedenfalls schon Witterung aufgenommen: „Soldaten, Arbeitsplätze, Standorte. Die Fragen sind ungelöst.“