Warum ich bei Krautreporter mitmache

Rico Grimm, Krautreporter from Krautreporter on Vimeo.

1. Weil es so naheliegend ist, Journalismus nur durch die Leser zu finanzieren – und es trotzdem in Deutschland auf diesem Niveau noch nie ausprobiert wurde.

2. Dabei hätte dieses Modell Vorteile für Autoren und Leser. Weil wir Journalisten über Themen schreiben könnte, die wichtig und interessant sind, aber in anderen Medien nicht veröffentlicht werden konnten, etwa weil sie nicht aktuell genug waren, zu komplex oder schlicht das Geld in der Redaktion fehlte. Etwa solche Beiträge, die alle aus meinem Alltag stammen:

  • über einen Bundeswehroberst, der mit Verweis auf das Grundgesetz Befehle verweigert hatte, dafür vom Bundesverwaltungsgericht Recht bekam und seitdem nie wieder befördert wurde
  • über die ersten privaten Weltraumraketen der Geschichte – die aus Deutschland stammten, im Kongo getestet wurden und für ein geheimes Cruise-Missile-Programm der Bundesrepublik gehalten wurden
  • über die Boom-Region Irak-Kurdistan, der gerade sein erstes Fass Öl ausgeliefert hat (u.a. an Israel) und der Nukleus für einen eigenen kurdischen Staat werden könnte.

3. Weil ich noch weiter mit fotojournalistischen Formaten, etwa solchen kurzen FotoText-Porträts experimentieren will. Denn ich glaube, dass „Geschichte“ bedeutungslos ist, wenn wir nicht erzählen, wie einzelne Menschen an ihr teil haben – und ihr Leben von ihr geformt wird.

4. Weil ich kein schlechtes Gewissen mehr haben will, wenn ich einen Text für ein Online-Medium schreibe – ob der Selbst-Ausbeutung, die das mit sich bringt. (Zur Info: 180 € vor Steuern für zwei Tage Arbeit sind nicht unüblich.)

5. Weil nichts so befriedigend ist, wie ein gutes Gespräch. Und das würde ich gerne mit den Lesern von Krautreporter führen. Mein großes Vorbild dabei: Ta Nehisi-Coats vom US-Magazin The Atlantic, der eine Kommentarspalte mit einem Abendessen vergleicht, zu dem der Leser eingeladen wird.

6. Weil der Hashtag #longreads abgeschafft gehört. Schließlich sollten lange, hintergründige Texte online nichts Besonderes mehr sein.

7. Weil Krautreporter das beste Argument gegenüber Verlagsmenschen für mehr Investitionen und Experimente wäre. In allen Häusern.

8. Weil ich nicht oft in meinem Leben ein Magazin gründen könnte. Und ihr auch nicht! Also werdet Mitgründer: www.krautreporter.de

Der erste Kriegsjournalist (Botentod)

Der erste Marathon-Läufer starb zweimal: Als er die Nachricht überbrachte und als sie seinen langen Lauf nach dem Ort der Schlacht benannten und nicht nach ihm.

(Der Läufer hieß Pheidippides. Gewissermaßen war er der erste Kriegsjournalist.)

Der Hitchens in uns – was Englands größter Polemiker den Digital Natives lehren kann

Vor zwei Jahren starb der britisch-amerikanische Journalist Christopher Hitchens. Er war ein großer Polemiker, Buch-Fanatiker und hat nie getwittert. Genau deswegen kann er den Digital Natives viel lehren. Eine Handreichung in 5 Punkten. „Der Hitchens in uns – was Englands größter Polemiker den Digital Natives lehren kann“ weiterlesen

SW #118

Wir versuchen eine vernünftige Zeitung zu machen, aber weil die Welt absurd ist, wird das scheitern.

Pascal Pia, Herausgeber von Combat, der Zeitung der französischen Resistance

3 Fragen, die sich Journalisten stellen sollten, wenn sie eine wissenschaftliche Studie lesen

Journalisten können vieles, ihrem Selbstverständnis nach sogar alles. Aber wissenschaftliche Studien lesen, fällt ihnen schwer. Hier sind drei Fragen, die sie sich bei der Lektüre einer Studie stellen sollten.

1. Können diese zwei Dinge wirklich miteinander in Verbindung stehen?

Eine Umfrage auf der (urkomischen) Homepage correlated.org ergab: Nur 27 Prozent aller Menschen benutzen regelmäßig Zahnseide. Aber unter denjenigen, die zusätzlich angaben, keine Computerspiele zu spielen, waren es 40 Prozent. Heißt das jetzt also, dass Videospielkonsum zu weniger Zahnseidengebrauch führt? Nein. Das ist Zufall. Ein Statistikprogramm hat das ausgerechnet. Es bleibt aber nur solange Zufall bis sie eine gute Theorie vorlegen können, um die merkwürdige Verbindung zu erklären. Ansonsten gilt: Korrelation ist nicht Kausalität.

Schreiben Sie sich diesen Satz überall hin, worauf Sie regelmäßig schauen, auf den Computerschirm zum Beispiel oder den Badezimmerspiegel. Wenn der Autor der Studie, die Ihnen gerade vorliegt, auch keine plausible Erklärung liefern kann, lassen Sie lieber die Finger davon und schreiben Sie nichts. Denn wie jeder Erstsemester lernt: Gib mir Daten, gib mir Zeit und der Weg zur These ist nicht weit (und die Hausarbeit gerettet!). Will heißen: Im Zweifel lässt sich eine Verbindung zwischen allen möglichen Dingen zeigen. Wo wir auch wieder bei correlated.org wären.

2. Hat der Autor der Studie wirklich alle Ereignisse berücksichtigt?

Nehmen wir an, ihr Leser/Nachbar/Schüler fragt Sie, warum es zu Krieg kommt. Weil Sie das nun auch nicht so genau wissen und gehört haben, das schon schlaue Menschen dazu geforscht haben, finden Sie eine Supi-Dupi-Studie, bei der alles passt und die den Titel trägt: „Warum es Krieg gibt“. Schön, denken Sie sich. Das war einfach. Diese Studie sagt nun: Am Krieg sind immer die Frauen schuld. Und der Autor kann das auch über Seiten hinweg ganz plausibel erklären: am Beispiel Helenas und des Trojanischen Krieges.

Hoffentlich ist ihr Leser/Nachbar/Schüler eine kluge Frau, wenn Sie ihr jetzt erklären, warum es immer Krieg gibt. Dann werden Sie nämlich zu erst als Chauvi beschimpft (zu recht!) und dann aufgeklärt, dass man doch nicht von einem Krieg auf alle schließen könne. Schon gar nicht von einem mythischen wie dem Trojanischen. „Ist doch logisch!“, denken Sie sich als schlauer Leser nachdem ich Ihnen dieses übertriebene Beispiel hier gebracht habe. Sie glauben aber nicht, wieviele Wissenschaftler damit Probleme haben, denn in der Realität ist es oft etwas vertrackter. Die Forscher nehmen dann ein paar Beispiele und sagen, dass sie für alle Ereignisse dieser Art stünden – ohne zu überprüfen, ob das auch stimmt.

Oder schlimmer noch: Sie nehmen dann nur die Beispiele, die ihnen in den Kram passen. Wenn ein Forscher so vorgeht, dann ist seine Studie nicht repräsentativ. Sie schmeißen diese Studie dann am Besten weg. Wie übrigens auch alle Studien, die ihnen ein für alle Mal erklären wollen, warum es zu Krieg kommt. Denn das ist wie mit der Geschichte von Frauen und Männern: viel zu kompliziert.

3. Hat er wirklich ALLE berücksichtigt?

Jetzt wird es appetitlich. Ihre Oma kocht nämlich zum Geburtstag für Sie, ihre Geschwister und die Enkel. Leider kann Oma nur noch ganz schlecht sehen, und hat statt zum Salz zum Zucker gegriffen und damit die Klöße gewürzt. Sie essen natürlich ihre Klöße brav auf. Sie wollen Oma ja nicht verärgern. Nur die Enkel verschwinden der Reihe nach während des Essens ins Bad. Als dann alle fertig sind, fragt Oma erwartungsfroh in die Runde: „Hat’s geschmeckt?“ Sie und die Verwandtschaft überbieten sich in Lobhudelei. Schließlich wartet noch ein Erbe. Nur die Kinder sind noch immer im Bad. Denen ist das Erbe egal, sie interessieren sich gerade nur für ihre Bauchschmerzen.

Oma muss aber den Eindruck gewinnen, dass es allen geschmeckt hat. Die Kinder, die stöhnend prostestieren könnten, krümmen sich auf dem Badvorleger (was sagt das eigentlich über Sie als Eltern aus?). Für die Oma ist das eine prima Sache. Sie kann beim Kaffeeklatsch mit den Freundinnen prahlen, wie sehr es allen geschmeckt habe, und dass sie doch, trotz des hohen Alters, noch kochen könne. So, wie die Oma, verhalten sich manchmal auch Forscher. Wenn in deren Studien Daten auftauchen, die konträr zu ihrem gewünschten Ergebnis liegen, lassen sie diese Daten einfach raus. Ausreißer nennen sie diese Daten dann. Oft haben die Forscher dafür eine gute Begründung. Manchmal aber auch nicht. Dann wollen sie einfach nicht zugeben, dass sie statt zum Salz zum Zucker gegriffen haben. Schließlich kann an einer Studie viel Geld und Ruhm hängen – mehr jedenfalls als am Erbe Ihrer Oma.

Drei Dinge: Korrelation ist nicht Kausalität; Repräsentativität; Ausreißer.

Für eine amüsante und lehrreiche Tour de Force durch die Untiefen des Wissenschaftsjournalismus empfehle ich „Die Wissenschaftslüge“ von Ben Goldacre (Affiliate Link)

Wie eine ‚Straßenschlacht‘ entstehen kann – nur im Kopf der Betrachter

Ein passender Epilog zum letzten Post: Der italienische Fotograf Ruben Salvadori zeigt, dass auch die schlimmste Straßenschlacht manchmal nur ein Schauspiel ist

SW #65

Wir können allet. Twitter, Blog, scheißejal. Jeb mir en Kanal und isch bedien ihn dir. Und irgendwann, da biste so mürbe. Und dann, dann hab isch disch.

Christoph Goller, inspiriert durch Kir Royal http://www.youtube.com/watch?v=LdQyQLs2THM

SW #36

I became a journalist partly so that I wouldn’t ever have to rely on the press for my information.

Christopher Hitchens, 2010

SW #16

Er war nervös, aber auf eine Art, wie jeder anständige Mensch nervös ist, wenn man sich mit einem Notizbuch bewaffnet ihm gegenübersetzt und eine Attitüde an den Tag legt, die ungefähr das aussagt: “Ich muss um halb drei zum Flieger: Könnten Sie mir bitte schnell die krassesten Anekdoten aus Ihrem Leben erzählen? Und bestellen Sie sich doch ruhig mehr von dem Spinat-Artischocken-Dip, ich übernehm natürlich die Rechnung.

John Jeremiah Sullivan, “Das finale Comeback des Axl Rose”

SW #3

Der Wettbewerb um die Wählerstimmen nimmt so die Form einer Suche nach charakterfesten und integren Individuen an. Diese Suche ist vergeblich, da eine Wahl mit Massenbeteiligung die Daten nicht bereitstellt, auf die sich solche Bewertungen gründen ließen.

Colin Crouch, “Postdemokratie”, Suhrkamp 2008, S. 41

Übrigens…

Unser Abschlussmagazin an der Deutschen Journalistenschule ist online.

Hier gehts zu hive, dem Medium für die digitale Gesellschaft.

Warum, wieso und was im Mission Statement von hive.

 

hive – das Magazin für die digitale Gesellschaft kommt

Bisher habe ich hier noch keine Meta-Artikel gepostet… da brauchte es schon was Besonderes: hive.

An der Deutschen Journalistenschule (DJS) müssen wir zum Ende unserer Print-Ausbildung ein Abschlussmagazin produzieren, 76 Seiten stark, erscheint im September. Das ist hive, es ist ein Magazin für die digitale Gesellschaft. Wir wollen das Ganze natürlich online begleiten, dort auch mit Formaten experimentieren. Heute haben wir deswegen den hive-Redaktionsblog aufgesetzt. Dort gibt es alle Infos und wir freuen uns über alle, die mit dabei sind, wenn hive wächst.

Hier gehts zur Facebook-Seite von hive und hier zu Twitter

Wir haben viele Ideen, eine sehr lange Themenliste – und nur sechs Wochen Zeit. Das wird viel Arbeit.

Aber sie wird sich lohnen.