Den besten Journalismus finden – 7 empfehlenswerte Kurateure

„Kuratierender Journalismus“ war vor vier Jahren ganz neu, dann ein kleiner Hype und ist inzwischen anerkannte Praxis. Es ist Zeit, die Kurateure zu kuratieren. Sieben Empfehlungen von mir.

Kuratieren als journalistisches Werkzeug ist aus der Nische gekommen und zu einem festen, akzeptierten Bestandteil des digitalen Journalismus geworden. Die Zeit der Grabenkämpfe – „Ist das wirklich Journalismus?“ – ist vorbei. Für Leser sind aufregende Zeiten angebrochen. Texte, die früher nur in Print-Magazinen veröffentlicht wurden, stehen jetzt online. New Yorker, Spiegel-Reportagen und Stücke aus dem SZ-Magazin. Wir müssen sie nur finden.

Man kann den richtigen Leuten auf Twitter folgen und den ganzen Tag unterhalten werden und staunen. Aber auf Twitter sind wir alle Zeitungsjungen, 140 Zeichen haben wir Platz, um zu empfehlen, wir müssen laut werden und das oft. Twitter ist als journalistisches Werkzeug nachrichtengetrieben, da übersehen wir vieles. Die in meinen Augen beste Geschichte des Jahres 2012, ein mitreißendes 125.000-Zeichen Epos über Fidel Castros amerikanischen General, habe ich nicht auf Twitter gefunden. Conor Friedersdorf hat sie mir per E-Mail empfohlen, wie ein guter Freund.

„The Best of Journalism“ – Conor Friedersdorf 

Conor Friedersdorf hat vor 5  Jahren begonnen, Lese-Empfehlungen an seine Freunde herumzuschicken. Daraus wurde ein veritabler Lese-Club. Denn für seine Empfehlungen verlangt Friedersdorf 23 $ im Jahr und die Leute zahlen gerne. Sicherlich hilft Friedersdorf, dass er beim Atlantic immer wieder zeigen kann, dass er selbst ein guter Schreiber ist. Dabei liest Friedersdorf nicht nur neue Geschichten, er geht auch in die Archive und kommt mit 30 Jahre alten Texten wieder heraus, die spannende Hintergründe für aktuelle Debatten liefern.

Typische Empfehlung

Liesmich

Liesmich gibt Empfehlungen für deutsche Texte. Diese sind mitnichten immer lang oder nur Reportagen, wie sie in ihrer Selbstbeschreibung schreiben. Die Güte entscheidet. Wer die Texte heraussucht, wissen die Leser allerdings nicht. Die Empfehlungen kommen aus dem Nichts und werden neutral angeteasert, was ich persönlich schade finde, aber nichts an der hohen Qualität der Tipps ändert.

Typische Empfehlung

Alternative

Longreads

Der englische Dienst Longreads stand Pate für viele Kurateure, für den inzwischen eingeschlafenen Twitter-Account „Gute Texte“ etwa und für Liesmich und Reportagen.fm augenscheinlich.  Auf Longreads muss ich mich allerdings nicht auf die anonymen Kurateure verlassen, sondern kann auch sehen, was die Community anklickt und das Archiv nach Lesezeit oder Wortzahl durchsuchen.

Typische Empfehlung

Byliner

Byliner ist wie Longreads nur auf Speed – und mit angeschlossener Buchhaltungsabteilung. Denn, wo sich Longreads durch Spenden und kleine Mitgliedsbeiträge finanziert, will Byliner nicht nur mit dem Kuratieren selbst Geld verdienen, sondern auch mit eigens in Auftrag gegebenen, langen journalistischen Texten: den „Byliner Originals“, die ich entweder einzeln kaufen oder mit einem Abo lesen kann. Gut 10 Dollar kostet ein Monatsabonnement, bei dem ich auch eine lesefreundlichere Variante der Texte im Archiv präsentiert bekomme. Im Archiv finden sich nach Byliner-Angaben über 50 Millionen Stücke, sortiert nach Autor und Thema. Ich kann einzelnen Autoren folgen, bekomme eine Benachrichtigung bei neuen Texten und sehe alle deren im Archiv verfügbaren Texte aufgelistet. Die Liste von John Jeremiah Sullivan habe ich immer noch nicht geschafft.

Weekly Filet

Leider hat der Schweizer Journalist David Bauer gerade eine Pause eingelegt. Sein „Weekly Filet“ erschien kürzlich zum 100. und vorerst letzten Mal. Ich nehme ihn aber dennoch in diese Liste auf. Damit er motiviert wird, weiterzumachen – und weil sein Archiv noch immer wertvoll ist. Bauer will „onyl the best food for thought“ versammeln. Das gelingt ihm gut. Hintergründige Fotos, Grafiken, Videos, Texte zu zumeist geselleschaftlich relevanten Entwicklungen in Technik und Wissenschaft findet er. Sie kommen aus oft – und das macht ihn einzigartig – eher abseitigen Quellen, die man nicht sowieso beobachtet. Oder haben Sie schon einmal von empiricalzeal.com gehört?

Nachtrag – 17.12 Uhr: Es geht weiter! Die nächste Ausgabe des Weekly Filet erscheint am 22.2. – gerne würde ich das jetzt auf diesen Blogpost zurückführen, aber diesen Entschluss hatte David schon früher gefasst.

Typische Empfehlung

„Brain Pickings“ von Maria Popova 

150.000 abonnieren ihren Newsletter, 270.000 folgen ihr auf Twitter, ein Porträt in der New York Times gibt es auch – Maria Popova ist die Königin des Kuratierens. In einer schier unglaublichen Frequenz entdeckt und beschreibt sie ihre Fundstücke auf der spendenfinanzierten Homepage brainpickings.org. Dabei zieht sie keine thematische Grenzen. Design, Wissenschaftsgeschichte, Literatur, Mathematik – alles verrührt sie zu einer unwiderstehlichen Mischung. Ihr Newsletter hat mir so schon viele Sonntage versüßt. Manchmal allerdings stört mich ihre uneingeschränkt bombastisch-positive Sprache, so dass ich das Mail-Abo am liebsten kündigen würde. Aber dann kommt wieder so eine Empfehlung zu Fahrrad-Design und ich bin versöhnt.

Typischer Text

„Next Draft – the days most fascinating news“  von Dave Pell 

Wenn Maria Popova die Königin des Kuratierens ist, dann ist Dave Pell ihr Hofnarr. Dave Pell verschickt jeden Abend unserer Zeit eine Mail mit Links zu den wichtigsten und interessantesten Dingen des Tages. Das wäre nichts besonderes, wenn er dabei nicht einen wunderbar selbstironischen, intelligenten Weg entwickelt hätte, die Teaser zu schreiben. Oft klicke ich auf keinen einzigen Link in seinem Newsletter. Das Lesen, auch per I-Phone-App möglich, genügt mir. Kostprobe aus der Weihnachtszeit:

The morning after attending a Bruce Springsteen concert, I told my kids that The Boss concluded the show by singing his famous version of Santa Claus is Coming to Town. My six year-old son immediately asked if he also sang I Have a Little Dreidel (in his defense, the name Springsteen does sound Jewish). As a Jewish parent, explaining the Santa story is especially tricky. If Santa is real, then why doesn’t he come to our house? And if Santa is a myth, then why shouldn’t we share that news with every other kid in our first grade class? Even for parents of kids who qualify for the naughty or nice list, deciding when to spill the beans about the man in red can be a touchy subject. In SlateMelinda Wenner Moyer wonders whether „The Santa Lie“ is hurting out kids. The short answer is no. (In my family, we’ll probably avoid the longer answer over a plate of latkes.)

Diese Liste hat natürlich Lücken. So suche und vermisse ich noch immer jemanden, der mir in persönlichem Stil die besten Videos empfiehlt. Oder jemanden, der die ganz bestimmt zahllosen großartigen Radio-Features und Reportagen und Podcasts sucht und schön aufbereitet. „Den besten Journalismus finden – 7 empfehlenswerte Kurateure“ weiterlesen