Der erste Kriegsjournalist (Botentod)

Der erste Marathon-Läufer starb zweimal: Als er die Nachricht überbrachte und als sie seinen langen Lauf nach dem Ort der Schlacht benannten und nicht nach ihm.

(Der Läufer hieß Pheidippides. Gewissermaßen war er der erste Kriegsjournalist.)

SW #120

Die Waffen für zwei Weltkriege geliefert, nie eine Wahl gehabt, unter die Erde und in die Gluthitze der Hochöfen gezwungen, beide Kriege verloren, Millionen von Menschen getötet. Und nie, nie, niemals durftest du darüber reden. Sonst kriegst du auf die Fresse. Ich sag’ mal so: Aufrechter Gang geht anders. Wer das Ruhrgebiet verstehen will, muß sich mit diesem sehr komplexen, vielschichtigen, zähen Gefühl auseinandersetzen: Scham. Und er muß damit rechnen, dass er dafür auf die Fresse kriegt.

„Ruhrgebiet inszenieren!“ von Michael-Walter Erdmann, Lettre International

Portrait of a Kurdish Peshmerga who fought 2003 in Operation "Enduring Freedom"

Wie ich einen Peschmerga in einem irakischen Taxi traf

Portrait of a Kurdish Peshmerga who fought 2003 in Operation "Enduring Freedom"

Halmat traf ich an einer staubigen Taxihaltestelle in Koia. 2003 kämpfte er während der Operation „Enduring Freedom“ an der Seite der Amerikaner in Kirkuk. Heute ist er der Bodyguard des Vize-Premierminister Kosrat Rasul, einem viel gerühmten Guerillakrieger, der der „kurdische Che Guevara“ genannt wird. Halmat ist ein Peschmerga, Mitglied der legendären kurdischen Guerilla-Armee.

Er sprach nur Kurdisch und Arabisch, ein bisschen Farsi; ich nichts davon. Er zeigte mir seinen Dienstausweis, auf dem stand alles in feinstem Englisch – Spuren der amerikanischen Besatzung. Daher weiß ich das alles.


Route nach Sulaymaniyah, Irak auf einer größeren Karte anzeigen

Halmat und ich teilten uns ein Taxi nach Sulaymaniah im Osten Kurdistan. Nachdem wir in der Stadt angekommen waren, suchte ich dort mein Hotel. Halmat wollte helfen, verstand aber nicht, wohin ich wollte. Da reichte er mir wortlos ein Telefon. Am anderen Ende sagte jemand auf Deutsch: „Hallo? Alles klar?“, im Hintergrund klingelte eine Ladenkasse. Die Stimme dirigierte uns schließlich zum Hotel. Es war Halmats Bruder, der in Aachen ein Geschäft hat. Der Bruder sagte schließlich: „Du, ich muss los. Der Laden ist voll, du weißt ja, wie die Samstage in Deutschland sind.“ Oh ja, das weiß ich.

Jetzt weiß ich aber auch, wie die Samstage in Kurdistan sind.

SW #102

Ideen, die die Welt entvölkern.

Saul Bellow, “Herzog”

SW #44

Jeder Krieg hat seinen Radius der Ausbreitung. Dessen Kreis ist scharf umrissen. Seine Überquerung empfindet man physisch. […] Du erlernst Dutzende Arten von Angst. […] Und du begreifst, dass du aus dem Krieg nicht hättest zurückkehren sollen. Der Wehrpass wird nur in eine Richtung ausgestellt. Aus diesem Kreis – dem Kreis des Krieges – findet keiner mehr zurück.

Arkadi Babtschenko zog für Russland zweimal in den Krieg gegen Tschetschenien, zuerst als Wehrpflichtiger, danach freiwillig; NEON 11/2011, S.66 – 74

De Maizière und die Bundeswehr-Reform: „Werde eckig, Kreis!“

Verteidigungsminister Thomas de Maizière spricht im Bundestag über den von AWACS-Flugzeugen der Bundeswehr in Afghanistan. (Quelle: Bundeswehr/CC BY-ND 2.0)
Verteidigungsminister Thomas de Maizière spricht im Bundestag über den Einsatz von AWACS-Flugzeugen in Afghanistan. (Quelle: Bundeswehr/CC BY-ND 2.0)

Mit der Bundeswehrreform gibt Verteidigunsminister Thomas de Maizière den unmöglichsten Befehl seiner noch kurzen Amtszeit.

Die alten Männer in der Berliner Julius-Leber–Kaserne schauen skeptisch. Ganz so, als ob ihr Oberbefehlshaber, Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU), gerade einem Kreis befehlen würde, eckig zu werden.

Aber de Maizière kündigt nur in nüchternen Worten große Veränderungen an. Veränderungen, von denen viele profitieren sollen, das Land, der Kollege Finanzminister und die Soldaten – aber nicht unbedingt sie, die Herren Generäle und Ministerialdirektoren in ihren schicken grauen Uniformen. Denn de Maizière will die Bundeswehr nicht nur in eine Freiwilligenarmee umbauen, sie besser auf Auslandseinsätze vorbereiten und dabei sparen. Er will auch streichen: 1500 Stellen im Verteidigungsministerium, 35 000 Posten in der Bundeswehr und noch einmal 21 000 Arbeitsplätze in der zivilen Armee-Verwaltung. Er will an die Pfründe der alten Männer heran; 11 000 Euro im Monat verdient etwa so ein Herr General. Und der soll das bitteschön auch noch mittragen. „Wer das nicht kann, der hat keinen Platz“ sagt der Verteidigungsminister. „Kameradschaft auch in der Neuausrichtung, das ist die Haltung, die wir brauchen.“

Selbst für einen Polit-Haudegen wie de Maizière, der schon sächsicher Finanz-, Justiz- und Innenminister war, Kanzleramt und Bundesinnenministerium leitete, ist diese Anordnung außergewöhnlich, ist die Bundeswehrreform eine Mammut-Aufgabe. Schließlich sind die grauen Männer vor ihm ein konservatives Häuflein voller Starrsinn. Als sie sich das letzte Mal bewegt hatten, regierte Adenauer und die Sowjets drohten, vom Osten her die Republik zu überfallen. Das war 1955. Da gründete man die Bundeswehr und die Generäle und Ministerialdirektoren in der neuen Armee zogen einen Kreis um sich und sagten: „Hier kommt keiner mehr rein!“ Und de Maizière will ausgerechnet diesen Kreis jetzt mal schön eckig haben. Pfff.

Die Generäle sagten: „Hier kommt keiner mehr rein!“

Aber es sind nicht nur die alten Männer, die bei der Bundeswehrreform Probleme machen werden. Sondern auch die jungen. Bei ihnen werden de Maizières Befehle und plumpe Appelle an Kameradschaftsgeist und Patriotismus nicht helfen. 5 000 bis 15 000 Freiwillige müssen sich den Plänen des Verteidigungsministers zufolge Jahr für Jahr für den Armeedienst verpflichten lassen – und das bei einem Einstiegs-Sold von gut 777 Euro im Monat. Wer im Restaurant nebenan regelmäßig kellnern geht, kommt auf einen besseren Monatslohn. Wenn der Kellnerjob überhaupt sein muss. Schließlich wird die Bundeswehr nun in der in Armeekreisen viel zitierten „freien Wirtschaft“ mit Porsche, Bosch und McKinsey um Nachwuchs werben müssen. Die Jungen haben da schon eine stattliche Auswahl. Werden sie nun, deren Zahl schon auf natürlichem Wege immer geringer wird, ihren Hintern in talibanesisches Kalaschnikow-Feuer halten, wo sie auch schnelle Autos entwickeln oder nützliche Bohrmaschinen bauen könnten?

Eine Wahl hat übrigens auch der alternde Rest des Volks – zumindest alle vier Jahre. Und diesem Rest wird vor allem eines mißfallen: Dass die Zeiten der Geldbörsen-Außenpolitik vorbei sind. Das macht de Maizière in seiner Rede unmissverständlich klar. Wo die Bundesrepublik sich früher aus der Verantwortung herauskaufen konnte, soll heute gelten: Schießen statt Zahlen, mehr Afghanistan und nicht weniger.

„Wenn Wohlstand Verantwortung erfordert, dann gilt das auch für die deutsche Sicherheitspolitik“, sagt der Verteidigungsminister. Die deutsche Bevölkerung, die Uniform und Bundes-Trikolore seit 1945 mit Inbrunst ignoriert, wird das nicht vorbehaltlos mittragen. Schon jetzt sind 60 Prozent der Deutschen gegen den Afghanistan-Einsatz. Wenn es der Bundesregierung nicht gelingt, die Bevölkerung von dieser neuen Militär-Doktrin zu überzeugen, wird es eng beim nächsten Wahlgang. Denn für den derzeitigen Darling der deutschen Wählerschaft, die friedlichen, täubischen Grünen, wären echte Debatten über Kriegsfragen Beliebtheits-Doping.

Für die Grünen wären Kriegs-Debatten Beliebtheits-Doping

Und überhaupt. Deutschland steht ja nicht allein. Das ganze Sparen, Streichen und Schmeicheln wird de Maizière unter der kritischen Beobachtung der Bündnispartner in EU und Nato erledigen müssen. Viel außenpolitischen Kredit hatte Deutschland schon mit seiner Enthaltung in der Libyen-Frage verspielt. Weitere Alleingänge wird es sich nicht leisten können, will es sich mit seinem Anspruch auf einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat nicht vollends lächerlich machen. Da hat der grüne Falke Fischer völlig recht.

Also: Alte und junge Männer, Wahlvolk, Chefin und die lieben Bündnispartner muss de Maizère zufriedenstellen. Die Formulierung, die sich dafür aufdrängt, will man ja gar nicht schreiben, der Kalauer ist zu nah, aber sie trifft es. Die Bundeswehrreform ist schon jetzt: ein Himmelfahrtskommando.

Und da hat de Maizère noch gar nicht über Geld allgemein und Rüstungsprojekte (noch mehr Geld) und Armeestandorte (das meiste Geld) gesprochen.

Bayern-Patriot Seehofer hat jedenfalls schon Witterung aufgenommen: „Soldaten, Arbeitsplätze, Standorte. Die Fragen sind ungelöst.“