Wir sind Präsident!

In Tunesien demonstrieren die Bürger wieder. Gegen den Noch-Präsidenten Ghannouchi, aber auch gegen das präsidentielle System. Ein Beispiel, das Schule machen sollte.

Es sind nicht F15-Kampfflugzeuge und auch nicht Abrams-Panzer. Die Rangliste der gefährlichtsten Exportgüter Amerikas führt der Präsidentialismus an. Ob in Ägypten, Tunesien oder dem Jemen: Nach der Unabhängigkeit von den Kolonialmächten folgten die meist miliärisch dominierten Eliten dieser Länder dem Vorbild der USA und wählten präsidentielle Systeme. Wohlwissend, dass die Gestaltungsräume für einen einzelne politische Kraft, einen starken Mann darin am größten bleiben würden.

Die neuen Demokratien funktionierten mehr schlecht als recht. Im Jemen wurden anfangs noch freie Wahlen abgehalten, bald aber nahm der Autoritarismus von Dauerpräsident Ali Abdullah Salih überhand. Die tunesische Regierung verbot acht Jahre nach der Staatsgründung die einzige ernst zu nehmende Oppositonspartei. In Ägypten verfolgte General Nasser unbarmherzig die oppositionelle Muslimbruderschaft und schwang sich zum uneingeschränkten Herrscher des Landes auf.

Hätte-wäre-wenn-Spiele funktionieren in der geschichtlichen Betrachtung nicht. Es bleibt unklar, was passiert wäre, wenn die jungen arabischen Republiken nicht den Präsidentialismus, sondern ein parlamentarisches System gewählt hätten. Aber nicht ohne Grund haben alle acht heutigen, osteuropäischen Mitglieder der EU ein parlamentarisches System. Und nicht ohne Grund sind mit der Ukraine und Weissrussland zwei Länder mit präsidentiellem Systemen noch immer die politischen Parias Europas.

Präsidentielle Systeme tragen den Keim zum Autoritarismus in sich. Der Fokus auf einen Mann an der Spitze, gar begleitet von einem herrischen Zentralismus oder einem starken militaristischen Ethos, wird zum Katalysator für die Diktatur. Die ersten Präsidenten der neuen arabischen Republiken konnten mit ihrer formell zwar beschränkten, aber dennoch immensenen Machtfülle die Opposition aus dem Weg räumen und so ihre Herrschaft auf Jahre hinaus sichern.

Anders in parlamentarischen Systemen, etwa in Deutschland. Dort braucht es zwingend Parteien. Das Volk muss untereinander in Dialog treten, sich sortieren und formieren und schließlich ins Parlament gewählt werden, eine große Pluralisierungsmaschine setzt sich da in gang. Schließlich werden die Parteien genauso zahlreich wie ihre inhaltlichen Unterschiede sein. Die Gefahr, dass eine einzige politische Kraft sich durchsetzt, sinkt mit der Zahl der Parteien. Jede Partei wird – schon aus purem Eigennutz – darauf achten, dass sich keine andere Partei illegal Vorteile verschafft.

Oft müssen die Parteien in parlamentarischen Systemen gar Koalitionen eingehen, um überhaupt regieren zu können. Diktatorische Alleingänge, geschweige denn autoritäre Verfassungsänderungen zugunsten der eigenen Partei werden dadurch zusätzlich erschwert.

Zudem: Die Premierminister, Kanzler und Ministerpräsidenten solcher Systeme regieren von Parlaments Gnaden. Verliert der Regierungschef das Vertrauen, kann er durch ein Misstrauensvotum abgewählt werden.

Die Bürger Tunesiens tun also gut daran, ein parlamentarisches System zu fordern und dem halbgaren Präsidentialismus den Rücken zu kehren. Es bleibt die Hoffnung, dass auch die Ägypter vom politischen Pharaonentum Abschied nehmen und sich dem Parlamentarismus zuwenden.