Ein Junge auf dem Nachtmarkt von Darwin

a boy on the night market at mindil beach in darwin australia stands among toys

Australien, Oktober 2006

SW #108

Reisen – es macht dich zuerst sprachlos und verwandelt dich dann in einen Geschichten-Erzähler.

Ibn Batuta

SW #107

Kurz vor seiner Abreise lernte er den berühmten Georg Forster kennen, einen dünnen, hustenden Mann mit ungesunder Gesichtsfarbe. Er hatte mit Cook die Welt umrundet und mehr gesehen, als irgendein anderer Mensch aus Deutschland, jetzt war er eine Legende, sein Buch war weltbekannt, und er arbeitete als Bibliothekar in Mainz. Er erzählte von Drachen und lebenden Toten, von überaus höflichen Kannibalen und Tagen, an denen das Meer so klar war, das man meinte, über einen Abgrund zu schweben, von Stürmen, so heftig, dass man nicht zu beten wagte. Melancholie umgab ihn wie ein feiner Nebel. Er habe zu viel gesehen, sagte er. Eben davon handle das Gleichnis von Odysseus und den Sirenen. Es helfe nichts, sich an den Mast zu binden, auch als Davongekommener erhole man sich nicht von der Nähe des Fremden. Er finde kaum Schlaf mehr, die Erinnerungen seinen zu stark. Vor Kurzem habe er Nachricht bekommen, dass sein Kapitän, der große und dunkle Cook auf Hawaii gekocht und gegessen worden sei. Er rieb sich die Stirn und betrachtete die Schnallen seiner Schule. Gekocht und gegessen, wiederholte er.

Er wolle auch reisen, sagte Humboldt.

Foster nickte. Mancher wolle das. Und jeder bereue es später.

Warum?

Weil man nie zurückkommen könne.

Daniel Kehlmann, “Die Vermessung der Welt”

Gunter Voelker, owner of "Deutscher Hof" Erbil, Irak

Gunter, deutscher Koch im Irak

Gunter Voelker, owner of "Deutscher Hof" Erbil, Irak

In dem großartigen Hamburg-Epos „Soul Kitchen“ gibt es eine Szene, in der ein Koch kündigt, in dem er mit seinem Messer einen Zettel an die Restaurant-Tür nagelt. Auf dem Zettel steht: „Der Reisende ist noch nicht am Ende, er hat das Ziel noch nicht erreicht.“

Dieser Koch könnte Gunter sein. Er betreibt ein deutsches Restaurant im Irak, genauer: in Erbil, der Hauptstadt der autonomen Region Kurdistan. Als ich nach mehr als einem halben Jahr im Nahen Osten bei ihm ein Bier bestellte, war das ein bisschen als würde ich zurückkehren in die Welt, in der ich aufgewachsen bin. Seine Speisekarten waren schwarz, ein buntes, vertrautes Logo darauf. Die Brauerei, die sie geliefert hatte, habe ich oft gesehen, wenn ich als Junge mit meinen Eltern einen Fahrradausflug gemacht habe. Das Essen, das er anbietet, kannte ich von meiner Oma.

Gunter kommt aus Tabarz, einem Örtchen in Thüringen, dem gleichen Bundesland, aus dem ich auch stamme. Dass er mal Thüringer Klöse im Irak kocht, war alles andere als klar als er im Herbst 1989 einmal „spazieren“ ging, also demonstrieren war. Zur Rache berief ihn die DDR-Regierung in die Nationale Volksarmee ein, ein paar Wochen später fiel die Mauer und Gunter fand sich in einer Armee wieder, die gerade noch den Klassenfeind im Westen bekämpfen sollte, aber nun dabei war, die Vereinigung mit der Bundeswehr zu vollziehen. Gunter blieb. Er machte das, was er gelernt hatte. Er kochte. Auf dem Balkan, dann in Kabul – dort schließlich eröffnete er seinen ersten Deutschen Hof. Es lief gut bis es zuviele Anschläge gab. Gunter schloss ab und flog nach Hause. 30.000 investierte Euro waren weg. Neuer Versuch in Erbil, Irak. Bald auch auf Sri Lanka.

Als ich mit Gunter sprach, merkte ich, dass er nicht wieder in Deutschland leben kann. Draußen in der Welt, da kann er wer sein. In Deutschland wäre er nur ein ehemaliger Bundeswehr-Koch. Als ich ihn nach Deutschland frage, fragt er zurück: „Was will ich denn da?“

SW #84

Every hundred feet the world changes

Roberto Bolaño, 2666

SW #62

Basically, I love photography – and travel. You could say I travel to take photographs and take photographs to travel

Rick Sammon

SW #8

Der erste Tag ist immer schwierig. Bei Fernreisen kommt die Seele erst drei Tage später an. Und man fühlt sich seltsam ohne Seele. Man ist nirgendwo zu Hause, weder im Alten noch im Neuen. Ausserdem ist es Sonntag. Da zeigt keine Stadt, was sie kann.

Helge Timmerberg, “African Queen”, 2012, S.10

SW #7

Ich war in einen Zug gestiegen, der Heimat in Fremde verwandelte, noch bevor er überhaupt losgefahren war.

Judith Hermann