Ich habe lange nicht verstanden, was es bedeuten soll, wenn ein Text „Rhythmus“ hat. Eine Sprach-Melodie ergibt sich aus Wortwahl, Tonlage, Satzlänge, klar. Aber einem ganzen Buch einen bestimmten Takt zusprechen zu wollen, hielt ich für vermessen – bis ich Teju Coles‘ „Open City“ gelesen hatte.
Denn dieses Buch groovt. Was daran liegen kann, dass darin einer durchweg läuft, durch die Straßen von New York und Brüssel, durch die Kultur Europas und die amerikanische Rassen-Gegenwart, durch Mahlers 9. Symphonie und die Trümmer des 11. September 2001. Und ein guter Groove ist genau das: beweglich, aber schwer und erhaben.
Genauer: Groove ist, wenn der Takt allein schon ein Gefühl ist; und in diesem Roman schwingt jedes Kapitel einer rein essayistischen Pointe zu und gibt so einen besonnenen Takt vor, das Klopfen der Einfälle. Der Leser fühlt sich ruhig dabei.
Viel Tinte wurde schon verbraucht, um den vermeintlichen Abstieg der USA zu beschreiben. Viele Analysen stützten sich dabei auf das Unvermeidliche: den Aufstieg Chinas, Indiens, Brasiliens. Die USA verlierten ihre Macht relativ zu anderen Ländern, nicht absolut. Im Moment ändert sich das. Die Vereinigten Staaten büßen an substantieller Kraft ein. Das ist nicht unvermeidlich, das ist ein hausgemachtes Problem. „Selbstzerstörung im Autopilot – 5 Zeichen, dass die US-Macht gerade implodiert“ weiterlesen
Susan Neiman, Direktorin des Einstein-Forums in Potsdam, hat für das Aeon Magazine einen sehr interessanten Essay über Sklaverei in den USA und Vergangenheitsbewältigung in Deutschland geschrieben.
Germans have been wrestling with the question of history and guilt for more than 60 years now. Their example makes clear just how many moral questions a serious contemplation of guilt must raise for America. These include what constitutes guilt, what constitutes responsibility, and how these are connected. A common slogan of second-generation Germans has been: ‘Collective guilt, no! Collective responsibility, yes!’ But the question of what responsibility entails has been politically fraught. Does taking responsibility for a violent history demand an eternal commitment to pacifism? Or to supporting the government of Israel whatever it does, as some argue? Or rather to supporting the Palestinian people whatever they do, as others have claimed?
Das sind starke Fragen für uns Deutsche, gerade für uns jungen der 3. Generation (ich bin 26 Jahre alt). Neiman zieht Vergleiche zu den USA, die diese Fragen nicht gestellt haben, obwohl es noch gar nicht so lange her ist, dass Schwarze in amerikanischen Bussen hinten sitzen mussten.
Ich glaube aber, dass der Fokus auf die USA noch zu kurz greift. Die Fragen müssen sich viele stellen: US-Amerikaner, Franzosen, Australier, Israelis, Türken, Iraker, Kurden, Chinesen. Denn – ohne dabei die spezifischen Bedingungen der verschiedenen Ereignisse in Frage stellen zu wollen – komme ich auf kein Land, das nicht an irgendeinem Punkt seiner Geschichte die Rechte anderer Völker mit Füßen getreten hat. (Falls euch eines einfällt, lasst es mich wissen.) Den anderen Menschen Leid zuzufügen scheint eine Konstante von Völkern, Nationen, Ländern zu sein.
Wenn man versucht, das zu begreifen, zu verstehen, dass es keine „gute Nation“ geben kann, „kein Licht der Heiden“, kein „God’s own country“, dass Nationen immer gleichzeitig gut und schlecht sind – dann wird es zu einer Lehrstunde in Demut, die man weder vergessen kann noch ignorieren. Deswegen ist Aufarbeitung so wichtig.
Foto: Szene aus „Django Unchained“: Leonardo di Caprio als ruchloser Sklavenhalter
Über Israels Koalitionsverhandlungen lesen wir alles, über die Millionen Tote im Kongo gar nichts. Der Nahostkonflikt ist die Obsession des Westens. Ein Erklärungsversuch. „Warum wir auf den Nahostkonflikt starren“ weiterlesen
Much writing today strikes me as deprecating, destructive, and angry. There are good reasons for anger, and I have nothing against anger. But I think some writers have lost their sense of proportion, their sense of humor, and their sense of appreciation. I am often mad, but I would hate to be nothing but mad: and I think I would lose what little value I may have as a writer if I were to refuse, as a matter of principle, to accept the warming rays of the sun, and to report them, whenever, and if ever, they happen to strike me.