A Walk Around The Park

DSC00246

DSC00247

DSC00251

DSC00260

DSC00264

Im Berliner Gebet-Automaten

In der Moabiter Arminiusmarkthalle schiebt Bernd der Hausmeister eine Sackkarre an der kleinen Kabine vorbei, in der man auf 64 Sprachen das finden kann, was größer sein soll als jeder Mensch: das Göttliche. Bernd sieht wie Lisa, die Fotografin, und ich die Kabine neugierig betrachten. Er sagt: „Die könnt ihr mitnehmen, die ist großer Müll.“ Er würde uns auch seine Sackkarre zu diesem Zweck überlassen.

Die Kabine heißt offiziell „Gebetomat“. In ihr kann man sich 300 Gebete aus Dutzenden Religionen anhören – und sie soll der kleinste spirituelle Raum sein, ein Platz, um an Bahnhöfen, in Kaufhäusern oder Parks in sich zu kehren.

„Weißt du, was am Besten wäre?“, fragt Bernd mich. „Wenn mal einer eine Nummer da drin schieben würde und jemand ein Foto davon macht, das sie dann in der Bild-Zeitung bringen… Ruck-Zuck wäre das Ding weg.“ Bernd scheint nicht viel vom Göttlichen zu halten. Ich verstehe nicht ganz, warum. Denn die Kabine stört eigentlich niemanden, wie sie da unter den drei spitz zusammen laufenden Fenstern im Seitenschiff der Markthalle steht. Aber Bernd ist wohl einfach ein echter Berliner.

Berlin ist die Kapitale der Gottlosen

Denn in dieser Stadt geht man aus, aber kehrt nirgendwo ein. Die Moderne und der real existierende Sozialismus haben hier ganze Arbeit geleistet: In der Erinnnerung der Menschen wird es für lange Zeit keine Stadt auf Erden mehr geben, in der so wenig gebetet wurde wie in Berlin nach dem Mauerfall. Es ist die Kapitale der Gottlosen. Nur langsam, und kaum bemerkbar schiebt sich das Religiöse in Form von zeitgeistigen Freikirchen wieder in die Mitte der Gesellschaft.

Ich aber schiebe mich jetzt erst einmal in den Gebetomat, der einem Fotoautomat ähnelt. Darin: Ein kleiner Hocker, vor mir ein berührungsempfindlicher Bildschirm, auf dem ich auswählen kann, was über die zwei Lautsprecher erklingen soll. Ich ziehe den Vorhang zu. Er schottet mich nur leidlich von der lärmenden Markthalle ab. Ich wähle ein buddhistisches Gebet aus Tibet. Es heißt: „Until Supreme Illumination“. Murmelnde Männerstimmen erklingen, werden immer lauter, ganz sachte, vor meinen Augen sehe ich den blauesten Himmel, graue Berge und gelbe Felder, ich sehe den Himalaya und die Markthalle lärmt nicht mehr. Als das Gebet zu Ende ist brauche ich einen Moment, um mich wieder zu besinnen.

Weiter geht es mit einem hinduistischen Gebet. Aber das schalte ich nach ein paar Minuten wieder ab, es nervt. Bei ein Requiem zu Ehren des toten Papst Johannes Paul II. kann ich mir den Priester, der das Gebet spricht, vorstellen: er ist alt und rigide. Sein Gebet ist schwülstig. Erst ein gesungenes Gebet russisch-orthodoxer Christen zieht mich wieder aus meiner ziemlich weltlichen Nörgelei in den Raum der Heiligkeit. Dieses Gebet höre ich bis zum Ende und denke dabei an gar nichts, sondern bin einfach bei mir, und das ist, glaube ich, sowieso der Zweck der Einkehr, und nicht ein Kurztrip in den Himalaya.

Der Hausmeister sagt über den Gebet-Automaten: „Diese Kiste klaut noch nicht einmal einer.“

Der Gebetomat funktioniert also. Aber er hat ein entscheidendes Problem: Wenn man bereit ist zur Einkehr, und Entspannung sucht, wird man sich nicht in eine enge Kabine mit Stahlwänden setzen, man wird in die Kirche gehen, am Fluss Musik hören, wird im Park dösen, im Atelier malen oder auf einem Feld Wolken beobachten. Und wenn man nicht bereit ist dazu, wird man einfach wie Bernd der Hausmeister an dem Gebetomat vorbeigehen, gerne auch mehrmals am Tag, mit Sackkarre oder ohne, und wird jedes Mal leise vor sich hinfluchen: „Diese Kiste klaut noch nicht mal einer.“

Dieser Text entstand für Zitty, 02/2014.  Die Fotos stammen von Lisa Wassmann.

Und das Prinzenpaar bleibt bis zum Schluss – Beim Seniorenfasching

Wenn wir 13 Jahre alt sind und es uns gelingt, uns den Weg in die Clubs zu lügen, dann schauen wir auf die Älteren, die nicht lügen mussten, um hereinzukommen und zwischen uns und ihnen liegen nur wenige Jahre und doch eine ganze Welt. Wenn wir 18 Jahre alt sind und nicht mehr lügen müssen und neuerdings in die angesagten Clubs gehen, dann sehen wir 30-Jährige und es ist etwas merkwürdig, denn zwischen uns und ihnen liegt noch eine ganze Generation. Wenn wir aber 70 Jahre alt sind, und zu einem Fasching gehen, dann treffen wir dort 87-Jährige und wir sind alle gleich, denn das Altern ist ein großer Befreier, das uns aus den Befangenheiten des Alltags löst.

So treffen sich die Herrschaften an einem Wochentag zum Seniorenfasching im Gemeinschaftshaus der Gropiusstadt zwischen grauen und nicht ganz so grauen Wohnhäusern. Sie haben sich für 15 Uhr verabredet, natürlich, denn das Altern nimmt uns auch die Pflicht immerzu strebsam und nüchtern zu sein, wenn die anderen in ihren Büros und Ämtern und Läden auch noch strebsam und nüchtern sind.

Vielleicht 100 Gäste sitzen an mehreren Tischreihen in diesem Haus, das eigentlich eine Halle ist. Um die Tische kreisen ein paar Mitglieder der Garde, die nachher mit Tamtam in den Saal einziehen werden. Sie schreiten in kleinen Grüppchen stolz auf und ab. Glöckchen an ihren Hüten bimmeln, Strass auf ihren Jacken glitzert und die Kümmerling-Flaschen klacken, wenn sie mit ihren Freunden anstoßen.

In den Winkeln und an den Wändern dieser kahlen Multifunktionshalle hängen große Papiersterne. Sie sind regenbogenfarben und gegenüber der Bühne lachen Masken. Statt Haaren kraulen sich Luftschlangen von ihrem Scheitel herab und auf der Bühne steht unter den Licht-Strahlern das Eberhard-Müller-Duo, das singen kann, aber manche Ton-Höhen nicht trifft.

Die Präsidentin der Garde, Frau Margot Hofmann, tritt an den Tisch der Ehrenamtlichen, die mittags die Sterne und die Masken aus dem Lager herangeschafft hatten. Sie bedankt sich mit einem feisten Lächeln und am Revers ihres Jacketts hat sie neun Anstecker von anderen Vereinen der Stadt hängen, neun allein aus diesem Jahr. Frau Hofmann warnt schon einmal, dass das Programm bis zur ersten Tanzpause noch etwas langweilig werde, weil es ja so schwer sei alle Leute zu kriegen, die seien ja alle berufstätig. Aber das Prinzenpaar, sagt Frau Hofmann, das bleibe wohl bis zum Schluss.

Die Herrschaften in der Halle finden es dabei nicht so schlimm, dass es Donnerstag ist und dass es etwas langweilig werden könnte und dass die Musiker nicht alle Töne treffen, sie streichen ihre Blusen glatt und straffen ihre Hemden. Sie fassen ihre Lieben an der Hand und schlängeln sich zwischen den Stühlen hindurch zur Tanzfläche, keiner beäugt sie dabei und dann tanzen sie, rot, rot, rot sind die Rosen, ganz langsam drehen sie sich umeinander und es werden immer mehr Paare. Alle kreisen um einen Mittelpunkt, den nur sie kennen und draußen zwischen den grauen Wohnhäusern kommen die Leute von der Arbeit heim und das Prinzenpaar, das bleibt bis zum Schluss.

Dieser Text erschien in Zitty, Ausgabe 25, in der Reihe: „Wir sind viele“, leicht verändert.

john dyke singer songwriter australia melbourne germany dyko berlin

John Dyke, ein australischer Sänger in Berlin

john dyke singer sänger songwriter australia melbourne germany dyko berlin

Das ist John Dyke. Er wuchs in Melbourne, Australien, auf und lebt nun als Sänger in Berlin. Das wäre gar nicht so besonders in dieser Künstlermetropole, wenn er nicht absolut fehlerfrei auf Deutsch singen und in einem Reihenhäuschen mitten in Berlin-Friedrichshain wohnen würde, mit Frau und Kindern und Gartendusche (siehe Foto).

Deutsch hat sich John Dyke mit alten Sprachkassetten aus den 70er-Jahren selbst beigebracht. Wer diese Videos sieht, muss sich wundern, dass er danach Deutschland überhaupt noch Ernst nehmen konnte. Als er vor 20 Jahren hierher kam, ging er in eine Bar. Er sagt: „Ich fand es einfach geil, dass man hier ein Bier bestellt und ein Strich auf dem Bierdeckel gemacht wird. Die Leute haben einem vertraut. In England etwa wäre das unvorstellbar.“

John Dyke war fasziniert von Deutschland, von der Band Kraftwerk. Er hat beim Schlagzeugmacher Sonor in der sauerländischen Provinz gearbeitet. Und das mit dem Deutsch und der Alltagskultur macht er so gut, dass er inzwischen eine Art Sonderbotschafter des Goethe-Instituts geworden ist. Da tritt er dann in New York oder in Usbekistan auf und singt solche Lieder:

vorort

ich bin sauer auf die stadt
mein leben hab ich satt
kann wieder schreiben oder lesen
was für ein geiles wesen

ich lebe in einem heim
mein gefühl ist: ganz allein
ich lebe in meinem vorort
und nichts passiert dort

nichts passiert dort
nichts passiert dort
nichts passiert dort

vorort vorort vorort
ich bin gefangen in meinem vorort
ich bin gefangen in meinem vorort
nichts passiert dort
ich bin gefangen in meinem vorort

omi ist gestorben
das hat alles verdorben
ich werd‘ alles erben
dann wird ich hier sterben

ich schau immer gloze
auf die schönheit könnte ich kotzen
mach die glotze aus
geh aus dem vorort raus
geh aus dem vorort raus

vorort vorort vorort
ich bin gefangen in mein vorort
ich bin gefangen in mein vorort
nichts passiert dort
ich bin gefangen in mein vorort baby

ich fühl mich nicht wohl
ich fühl mich ganz klein
muß mich ausdrucken
dann fühle ich mich fein

ich bin gefangen
ich bin gefangen

vorort……..
vorort……..
merhaba nachbar jetzt bin ich dort

SW #85

Ick seh dat so: Am Ende wird alles jut. Und wenn’s nich jut wird, is es noch nicht das Ende!

Andy, Neukölln in “Maria und Josef in Neukölln”, ZEIT, 19.12.2012

SW #48

Peng, Peng im Puff!

Die letzte Fahrt der Piraten

Die Piratenpartei muss das Superwahljahr 2011 nutzen, um in einen Landtag einzuziehen. Sonst wird sie endgültig von der Bildfläche verschwinden. Sie braucht jetzt Köpfe, Fokus – und etwas Glück.

Vor zwei Jahren haben viele die Piraten noch mit den Grünen verglichen, heute redet keiner mehr über sie. Umso erstaunlicher ist, dass die Partei bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg noch 2,1 Prozent aller Stimmen erreichen konnte, im Vergleich zur Bundestagswahl 2009 waren das allerdings 0,5 Prozent weniger. Daraus einen Trend ablesen zu wollen, ist verfrüht. Die Zeichen stehen für die Partei dennoch auf Sturm.

Denn fehlende Medienaufmerksamkeit und sinkende Wahlergebnisse sind Symptome für ein tieferliegendes, strukturelles Problem der Piratenpartei: Sie hat die Deutungshoheit über das Thema Datenschutz verloren und es nie geschafft, sie bei anderen Themen zu erringen.

Über Ilse Aigner und ihre naiven Tiraden gegen Facebook können sich die Piraten noch so sehr lustig machen. Es ändert nichts am Ergebnis. Aigner hat das Thema besetzt – jedenfalls in der Wahrnehmung derjenigen Bürger, die nicht auf Twitter sind oder sich in der netzpolitischen Gemeinschaft engagieren. Dort wo Aigner nicht aktiv wird, füllt FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger die Lücken, etwa bei der Vorratsdatenspeicherung oder dem SWIFT-Abkommen zwischen EU und USA über den Austausch von Bankdaten.

Auch bei anderen Themen konnte die Piratenpartei kaum punkten. Sie konnte sich gar nie einigen, ob sie da überhaupt punkten wollte. Nach der Bundestagswahl begannen die Piraten darüber zu streiten. Fast wie bei den Grünen war das, Realos gegen Fundis. Nur, dass das bei den Piraten Kernis gegen Vollis hieß. Die Kernis wollten sich auf die Grundthemen der Partei beschränken, die Vollis ein Vollprogramm entwickeln. So verbrachten die Piratenpartei das vergangene Jahr mit Debatten über die inhaltliche Ausrichtung. Erst auf dem Bundesparteitag im November konnten sich die Vollis durchsetzen. Das war allerdings für die Piraten zu spät, um sich auf das vorbereiten zu können, was in diesem Jahr kommen wird: noch fünf Landtagswahlen.

Zudem kommen Personalprobleme. Markus Beckedahl hat das im Interview mit DLF-Reporter Philip Banse gut analysiert: „Die Piraten diskutieren nur über Strukturen und Köpfe und dabei fehlen ihnen auch noch charismatische Köpfe, die ihre Themen eloquent nach außen vertreten können.“ Als wäre das nicht genug, scheint einer der wenigen bekannten Köpfe der Partei, Bundesvorsitzender Jens Seipenbusch, derzeit nicht auf Anfragen zu reagieren. Stattdessen muss der politische Geschäftsführer Christopher Lauer Rede und Antwort stehen. Vertrauen schafft die Partei so nicht.

Für die Piratenpartei geht es in diesem Jahr um alles. Zieht sie in einen der der fünf Landtage ein, hat sie wieder die Aufmerksamkeit, die sie braucht. Aber da beißt sich die Katze in den Schwanz. Denn ohne Aufmerksamkeit wird es keine Wahlerfolge geben.

Aber es gibt Auswege: Köpfe, Fokus, Glück.

Erstens, die Partei muss sich schleunigst einen profilierten, charismatischen Sprecher zulegen, einen, der die Piratenpartei und ihre Themen nach außen präsentiert. Eine Wahl allein über die Themen zu gewinnen, ist nur unter optimalen Bedingungen möglich – und diese sind angesichts der Konkurrenz um das Thema Datenschutz nicht gegeben.

Zweitens, die Piraten dürfen sich nicht verzetteln. Sie müssen ihre wenigen Ressourcen dort einsetzen, wo sie am ehesten in den Landtag einziehen können. Und das ist in Berlin, in der Metropole. Nur dort ist die Zahl der netzaffingen Jungen, der Stammwähler der Piraten groß genug. Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg sind zu ländlich geprägt. In Bremem holten die Piraten bei der Bundestagswahl 1 Prozent weniger als in Berlin.

Drittens, der Faktor, den die Piraten nicht beeinflussen können: die Konkurrenz. Falls der neue CSU-Innenminister die Abteilung Attacke auch auf dem Gebiet der Netzpolitik eröffnet, wäre das Pech für das Land, aber ein Glücksfall für die Piratenpartei, da die Bürger in diesen Fragen eher nicht mehr den Regierungsparteien CSU und FDP, sondern der Opposition vertrauen würden.

Auf ihr Glück allein können sich die Piraten aber nicht verlassen. Die Piraten müssen daher einen charismatischen Kopfe am richtigen Ort in den Wahlkampf schicken. Dann haben sie eine Chance.

Tun die Piraten das nicht, sind sie in diesem Jahr zu ihrer vorerst letzten Fahrt aufgebrochen.

Korrigiert: Der politische Geschäftsführer der Piratenpartei heißt Christopher Lauer, nicht Christoph Hauer. Dank an Philip Banse für den Hinweis.