Selbstzerstörung im Autopilot – 5 Zeichen, dass die US-Macht gerade implodiert

Viel Tinte wurde schon verbraucht, um den vermeintlichen Abstieg der USA zu beschreiben. Viele Analysen stützten sich dabei auf das Unvermeidliche: den Aufstieg Chinas, Indiens, Brasiliens. Die USA verlierten ihre Macht relativ zu anderen Ländern, nicht absolut. Im Moment ändert sich das. Die Vereinigten Staaten büßen an substantieller Kraft ein. Das ist nicht unvermeidlich, das ist ein hausgemachtes Problem. „Selbstzerstörung im Autopilot – 5 Zeichen, dass die US-Macht gerade implodiert“ weiterlesen

Wir sind Präsident!

In Tunesien demonstrieren die Bürger wieder. Gegen den Noch-Präsidenten Ghannouchi, aber auch gegen das präsidentielle System. Ein Beispiel, das Schule machen sollte.

Es sind nicht F15-Kampfflugzeuge und auch nicht Abrams-Panzer. Die Rangliste der gefährlichtsten Exportgüter Amerikas führt der Präsidentialismus an. Ob in Ägypten, Tunesien oder dem Jemen: Nach der Unabhängigkeit von den Kolonialmächten folgten die meist miliärisch dominierten Eliten dieser Länder dem Vorbild der USA und wählten präsidentielle Systeme. Wohlwissend, dass die Gestaltungsräume für einen einzelne politische Kraft, einen starken Mann darin am größten bleiben würden.

Die neuen Demokratien funktionierten mehr schlecht als recht. Im Jemen wurden anfangs noch freie Wahlen abgehalten, bald aber nahm der Autoritarismus von Dauerpräsident Ali Abdullah Salih überhand. Die tunesische Regierung verbot acht Jahre nach der Staatsgründung die einzige ernst zu nehmende Oppositonspartei. In Ägypten verfolgte General Nasser unbarmherzig die oppositionelle Muslimbruderschaft und schwang sich zum uneingeschränkten Herrscher des Landes auf.

Hätte-wäre-wenn-Spiele funktionieren in der geschichtlichen Betrachtung nicht. Es bleibt unklar, was passiert wäre, wenn die jungen arabischen Republiken nicht den Präsidentialismus, sondern ein parlamentarisches System gewählt hätten. Aber nicht ohne Grund haben alle acht heutigen, osteuropäischen Mitglieder der EU ein parlamentarisches System. Und nicht ohne Grund sind mit der Ukraine und Weissrussland zwei Länder mit präsidentiellem Systemen noch immer die politischen Parias Europas.

Präsidentielle Systeme tragen den Keim zum Autoritarismus in sich. Der Fokus auf einen Mann an der Spitze, gar begleitet von einem herrischen Zentralismus oder einem starken militaristischen Ethos, wird zum Katalysator für die Diktatur. Die ersten Präsidenten der neuen arabischen Republiken konnten mit ihrer formell zwar beschränkten, aber dennoch immensenen Machtfülle die Opposition aus dem Weg räumen und so ihre Herrschaft auf Jahre hinaus sichern.

Anders in parlamentarischen Systemen, etwa in Deutschland. Dort braucht es zwingend Parteien. Das Volk muss untereinander in Dialog treten, sich sortieren und formieren und schließlich ins Parlament gewählt werden, eine große Pluralisierungsmaschine setzt sich da in gang. Schließlich werden die Parteien genauso zahlreich wie ihre inhaltlichen Unterschiede sein. Die Gefahr, dass eine einzige politische Kraft sich durchsetzt, sinkt mit der Zahl der Parteien. Jede Partei wird – schon aus purem Eigennutz – darauf achten, dass sich keine andere Partei illegal Vorteile verschafft.

Oft müssen die Parteien in parlamentarischen Systemen gar Koalitionen eingehen, um überhaupt regieren zu können. Diktatorische Alleingänge, geschweige denn autoritäre Verfassungsänderungen zugunsten der eigenen Partei werden dadurch zusätzlich erschwert.

Zudem: Die Premierminister, Kanzler und Ministerpräsidenten solcher Systeme regieren von Parlaments Gnaden. Verliert der Regierungschef das Vertrauen, kann er durch ein Misstrauensvotum abgewählt werden.

Die Bürger Tunesiens tun also gut daran, ein parlamentarisches System zu fordern und dem halbgaren Präsidentialismus den Rücken zu kehren. Es bleibt die Hoffnung, dass auch die Ägypter vom politischen Pharaonentum Abschied nehmen und sich dem Parlamentarismus zuwenden.

Ägypten: Was nun? – Sieben Links fürs Wochenende

Das ägyptische Volk hat Hosni Mubarak vertrieben, der Militärrat hat die Macht übernommen. Sieben Texte, die verstehen helfen, was in den nächsten Wochen passiert.

General Hussein Tantawi: Der Mächtige (FAZ)

Hosni Mubarak hat die Staatsgeschäfte dem Militärrat übergeben, der von General Hussein Tantawi, Verteidigunsminister und Kriegsvetereran, geleitet wird. Die FAZ meint: „Gegen Tantawi, der auch schon 75 ist, läuft nichts in Ägypten.“

Warum Mubarak am Ende ist (FAZ)

Auch wenn es der Titel anders suggeriert, dieser Aufsatz des amerikanischen Politik-Professors Paul Amar ist noch immer hochaktuell. Er beschreibt und analysiert kenntnisreich die einflussreichsten Gruppen in Ägypten,  fordert einen Abschied von einfachen Erklärungsansätzen à la „Volk gegen Diktatur“, „Laizisten gegen Islamisten“ sowie „Alte Garde gegen frustierte Jugend“ und unterstreicht die lange Tradtition Ägyptens in Internationalen Organisationen. Wenn Sie nur Zeit für einen Text haben, dann sollte es dieser sein. Das englische Original findet sich auf www.jadaliyya.com.

Avoiding a new pharaoh (NYT)

Der zweifache Pulitzerpreisträger Nick Kristof war einer der Ersten nach der Resignation Mubaraks, der eine Analyse (direkt aus Kairo) veröffentlichte. In seinem, angesichts der Umstände, erstaunlich nachdenklichen Text warnt er vor dem ägyptischen Militär: „I worry that senior generals may want to keep (with some changes) a Mubarak-style government without Mubarak.“

Mubarakism without Mubarak (FA)

Kristofs Sorge wird geteilt. Für die Online-Ausgabe von Foreign Affairs beschäftigt sich Politikprofessor Ellis Goldberg mit der Geschichte der ägyptischen Armee und kommt zu dem Schluss, dass diese nicht die Demokratie unterstützen werden. Schließlich hat sie sich in den letzten Jahrzehnten ein dichtes Netz aus Privilegien, Firmen und Patronage-Systemen aufgebaut, das beim Aufbau einer Demokratie verschwinden würde.

The Secret Rally That Sparked an Uprising (WSJ)

Das Wall Street Journal beschreibt, wie eine kleine Gruppe von Aktivisten, darunter Wael Ghonim, der zwischenzeitlich inhaftierte Google-Mitarbeiter, die Anfänge der Proteste organisierten, immer mit dem Ziel, auch die Menschen zu erreichen, die nicht auf Facebook sind. „The plotters say they knew that the demonstrations‘ success would depend on the participation of ordinary Egyptians in working-class districts like this one, where the Internet and Facebook aren’t as widely used.“ 20 Demonstrationsorte machten sie bekannt. Die ägyptische Polizei wartete schon. Am 21., einem geheimen, zuvor verabredeten Ort, gelang den Aktivisten schließlich der Durchbruch. Die Zukunft Ägyptens wird nicht ohne sie gestaltet werden.

The Muslim Brotherhood’s Strategy in Egypt (The Atlantic)

Die vom Westen gefürchtete Muslimbruderschaft hatte sich in den vergangenen 18 Tagen von Demonstration und Revolte zurückgehalten. Dahinter steckt sowohl eine Überzeugung: „This is a revolution for all Egyptians–it’s not ours“. Als auch eine Strategie: „It knows that it can win in the long run, if it can emerge relatively unscathed over the short run“, schreibt The Atlantic.

The Revolution Betrayed (ProSyn)

In einem erfahrungsgesättigten Text für Project Syndicate warnt die ukrainische Oppositionsführerin Julia Timoschenko vor der „Revolution, die ihre Kinder frisst“. Wahlen allein seien kein Garant für Demokratie, nur eine echte Zivilgesellschaft könne die Demokratie beschützen. Bis sie entsteht, brauche es allerdings Jahre.

Trivia

Am 11. Februar 1979 war die bisherige Ordnung völlig zusammengebrochen. #iran
Nelson Mandela wurde am 11. Februar 1990 aus dem Gefängnis entlassen. #südafrika
Hosni Mubarak trat am 11. Februar 2011 als Präsident Ägyptens zurück. #egypt

 

Bildquelle: Flickr

Westerwelle und der Bumerang

Viel Kritik musste Außenminister Guido Westerwelle in den letzten Tagen für seine zurückhaltenden Ägypten-Äußerungen einstecken. Aber er hat Recht. Ein Kommentar.

Bei Guido Westerwelle ist es wie bei einem Bumerang. Er sagt etwas, und diese Worte fliegen stets in hohem Bogen zu ihm zurück. Die Opposition kritisiert ihn oft. Entweder seien seine Worte zu stark, man denke nur an seine Aussagen zu Hartz-IV, oder sie seien zu schwach, wie im Fall seiner Äußerungen zu den Protesten in Ägypten.

Die Situation dort ist nach der Videoansprache Hosni Mubaraks eskaliert. Anhänger des Präsidenten lieferten sich Straßenschlachten mit Demonstranten. Westerwelle mahnte daraufhin ein friedliches Vorgehen von beiden Seiten an und rief die Regierung Ägyptens auf, in den Dialog mit den Demonstranten zu treten. Für die Opposition ist das zu wenig. Westerwelle müsse „in Richtung Ägypten endlich eindeutig Stellung beziehen“ und auch Taten sprechen lassen, sagte etwa Grünenvorsitzende Claudia Roth.

Dass sich der sonst so redebedürftige und pointierte Westerwelle im Falle Mubarak Zurückhaltung auferlegt hat, ist jedoch berechtigt.

Denn die Freiheit, sein eigenes Schicksal zu lenken, ist eines jener Grundrechte, für die das ägyptische Volk gerade demonstriert. Würde Westerwelle Mubarak öffentlich zum Rücktritt auffordern, sich gar auf die Seite des säkulären Oppositionsführers Mohammed El-Baradei schlagen, wäre das eine unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten Ägyptens. Die Fortsetzung eben jener Politik, für die die Staaten des Westens in den letzten Jahren kritisiert wurden.

Jedes Volk muss sich seine Freiheit auf den Straßen selbst erkämpfen und in den Parlamenten anschließend verteidigen können. Nur, wenn das ägyptische Volk die Reformen der kommenden Monate ungestört debattieren und steuern kann, wird es dem neuen, hoffentlich demokratischen Staat seine Absolution erteilen. Zuviel äußere Einmischung in diesen Emanzipationsprozess behindert ihn nicht nur, sondern konterkariert ihn gar. Denn ein vom Westen öffentlich unterstützter Oppositionsführer und möglicher Präsidentschaftskandidat El-Baradei müsste in den Augen der ägyptischen Demonstranten wie eine Marionette erscheinen. Darin dem Präsidenten Afghanistans, Hamid Karzai, nicht unähnlich.

Die Geschichte zeigt jedoch, dass der Weg zu Freiheit und Selbstbestimmung für ein Volk schmerzhafter und steiniger sein kann als erhofft. Dass die Euphorie der Revolution durch Verbitterung ersetzt werden kann. Der Französischen Revolution folgte der terreur der Jakobiner, der deutschen Märzrevolution von 1848 die monarchistische Konterrevolution von König Friedrich Wilhelm IV. Letztlich konnte sich das Volk nur dort emanzipieren, wo es immer wieder auf seine Rechte pochte.

Wenn Grünen-Chefin Roth also verlangt, dass sich die Bundesrepublik öffentlich gegen Mubarak ausspricht, verlangt sie zuviel. Denn auch solch eine Stellungnahme Westerwelles käme mittelfristig wieder zurück wie ein Bumerang. Allerdings würde dieser uns alle dann treffen. In jenem Moment nämlich, in dem klar wird, dass ein reformierter ägyptischer Staat auch wieder zur Autokratie werden kann. In dem Moment, in dem die Revolution beginnt, ihre Kinder zu fressen – und das ägyptische Volk weder Kraft noch Willen hat, sie daran zu hindern.

[ Dieser Text ist im Rahmen meiner journalistischen Ausbildung entstanden und spiegelt den Nachrichtenstand von Donnerstag, dem 3.2., 21 Uhr wider.]